Montag, 30. Mai 2011

Sechste Woche 22. bis 28.Mai 2011

Der Sonntag beginnt für mich eigentlich mit dem 10:00 Uhr „Service“. Ich schaffe es, eine Stunde länger zu schlafen als sonst und wache erst um 7:00 Uhr auf. Da beginnt schon der erste Gottesdienst. Ich höre durch mein Fenster, wie sich die Studenten des „Kwaia Kuu“ einsingen.

Den 10:00 Uhr Gottesdienst begleitet der zweite Chor, der „Kwaia Neema“ (Chor der Gnade). Er ist kein A-Capella Chor, sondern wird begleitet von drei bis vier E-Gitarren und Keyboard samt aufwändiger Verstärkeranlage. Der Chor singt ohne Mikrophone, so dass die begleitende Band und die Anlage gut ausgesteuert sein müssen, um ihn nicht totzuschlagen. Und das haben die Studenten wirklich im Griff. Das übliche afrikanische: je lauter desto besser, fehlt hier völlig.

Gesungen wird afrikanisch-christliche Popularmusik und das peppig und in guter Qualität. Dabei bietet die Gruppe auch etwas für das Auge. Die ersten beiden Reihen bilden nämlich lauter hübsche, junge Frauen (zum Sonntag, genau wie die Männer, sehr schick angezogen), die nicht nur mit angenehmer Stimme singen, sondern sich zu ihren Liedern auch gut einstudiert bewegen. Unsere Konfirmanden würden Stielaugen machen.

Der Gemeindegesang ist wieder zum neidisch Werden. Ich bin die englischen Kirchenschnulzen zwar allmählich leid, aber sie werden mit Inbrunst mehrstimmig und ohne Noten gesungen (und auch ohne Orgelbegleitung). Und man muss ja zugeben: was nützen die schönsten deutschen Kirchenlieder, wenn der Gemeindegesang dünn ist? (Dabei bin ich eigentlich verwöhnt ...Gruß an Nusse ...).

An diesem Sonntag gibt es Abendmahl, das ich sonst, sogar an den Osterfeiertagen vermisst habe (am Gründonnerstag, saßen wir ja im Bus bzw. standen in der afrikanischen Steppe herum). Trotz meiner geringen Kisuaheli Kenntnisse sind einige liturgische Stücke gut zu erkennen. Der Wein wird in kleinen Kunststoffbechern gereicht, die schon gefüllt zu Dutzenden auf einem Tablett stehen und etwa doppelte Fingerhutgröße haben.

Und auch heute endet der Gottesdienst vor der Tür mit einem Chorgesang, der Versteigerung von Naturalien und einem Schlussgebet. Auch die ältesten Gottesdienstbesucher bleiben bis zum Ende dabei.

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Der Montagabend bringt eine Probe mit fünf Orchesterbläsern aus den USA, die sich zu einem Quintett zusammengefunden haben (Oboe, Fagott, Horn, Klarinette und Flöte). Gespielt werden zeitgenössische afrikanische Komponisten, die für westliche Instrumente geschrieben haben. Kommenden Sonnabend und Sonntag ist Konzert. So einer Gruppe von Profis aus der Nähe beim Proben zuzusehen, ist schon faszinierend.

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Anlässlich einer Einkaufsfahrt nach Arusha erzählt mein Uni-Chef von einer ländlichen Kirchengemeinde, die er einmal besucht hat und die „im Busch“ liegt. Das heißt: abseits jeder ausgebauten Straße, erreichbar nur zu Fuß oder im Geländewagen mit Vierradantrieb und großer Bodenfreiheit. Und das bedeutet auch: es gibt dort keinen Strom, keine zentrale Wasserversorgung und selbstverständlich keine Wegweiser und Ortsschilder. Wozu auch, die Leute wissen ja, wo sie wohnen.

Der Pastor hat eine weit verstreute Gemeinde, und da er zwar ein Handy aber kein Auto besitzt, besucht er sie jeden Monat zu Fuß. Das sind dann mal fünf, mal zehn und mal auch fünfzehn Kilometer. Er kann stundenlang gehen, ohne jemanden zu treffen oder etwa einem Fahrzeug zu begegnen.

Wenn er da ist, gibt es erst mal „Tee“ für ihn, und danach ist Gottesdienst. Da treffen sich dann alle in dem größeren oder kleineren Gebäude, das als Kirche dient. An einem Tag sind es vielleicht zweihundert Gemeindeglieder, am nächsten nur vierzig, weil dort nicht mehr Leute wohnen. Ist die nächste „Ortschaft“ zu weit weg, um sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, wird er selbstverständlich zum Übernachten eingeladen.

Von einer solchen abgeschiedenen Lebensweise machen wir uns gar keine Vorstellung mehr.

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Das Gästehaus, in dem ich ein Zimmer habe, wird voll. Sechs amerikanische Studentinnen ziehen ein. Alle sehr nett, aber ich werde um meinen Anteil an der Wäscheleine kämpfen müssen.

Morgens sitzt eine kleine Eidechse in der Duschwanne. Eidechsen sind hier, genau wie die Geckos, die senkrecht die Wände hochklettern, die ungezähmten Haustiere, ernähren sich von Insekten und kommen und gehen, wie sie wollen. Die Duschwanne ist allerdings eine Falle, denn die Seitenwände sind für das Tierchen zu hoch; ich muss es fangen und in die Freiheit setzen.

Am Nachmittag turnt ein ganzer Kindergarten von niedlichen Meerkatzen auf dem Blechdach des Gästehauses herum. Ein Muttertier mit den eigenen Kleinen und deren sämtliche Freunde und Freundinnen. Sie machen einen Höllenlärm, aber als ich sie filmen will, verschwinden sie in den Bäumen – blöde Affen ...

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Der Donnerstag ist vollgestopft mit Seminar- und Übungsstunden. Ich besuche regelmäßig das „African Ensemble“. Einige der Studenten stellen Tänze aus ihrer Heimat vor. Da könnten sie sich natürlich für meine Quälereien bei den Bläserproben revanchieren und mir zeigen, was mir alles an Rhythmus fehlt. Aber das tun sie nicht, dazu sind sie viel zu freundlich und höflich. (außerdem sieht man es auch so) Man geht bei diesen Tänzen meistens leicht in die Knie, beugt den Oberkörper etwas nach vorn und stellt die Füße seitlich auseinander - für einen Europäer, der in der Regel einen Stock verschluckt hat, eine ganz ungewohnte Haltung.

Die letzte Quartettprobe ist um neun Uhr zu ende, ich höre noch dem Bläserquintett aus den USA bei der Probe zu und dann ruft das Bett.

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Die neueste Entdeckung: es gibt auch auf dem Uni-Gelände kleine Läden. Sie heißen hier „Duka“ und bieten Gebrauchsgegenstände, Telefonkarten oder auch „First Class Haircutt“ an (kein Schreibfehler von mir). Man sollte sich allerdings bei vertrauenswürdigen Leuten erkundigen, was bei dem „Erste Klasse Haarschnitt“ zu erwarten ist, sonst sieht man hinterher aus wie Miss Piggy von den Muppets.

Viele der Studentinnen lassen sich aus ihren Haaren die Krause „herausglätten“. Das gilt als chic und modern, sieht aber nicht bei jeder gut aus. Normalerweise wird das Haar sehr kurz geschnitten und in kleinen Zöpfen mit unterschiedlichen Mustern dicht am Kopf getragen. Wird das nicht gemacht, dann entwickelt sich in kurzer Zeit ein zwanzig bisn dreißig Zentimeter hoher, dichter Wuschelkopf, den wir bei uns unter „Afro-Look“ kennen. So etwas tragen nur ganz wenige, wahrscheinlich ist das Pflegen viel zu mühsam.

Die Männer haben ihre Haar ganz kurz geschnitten (aus den gleichen Gründen wie die Frauen), aber keiner von ihnen trägt diese Zöpfe, denn das gilt als unmännlich. Einige laufen genauso lässig gekleidet herum, wie die Studenten bei uns auch, viele tragen aber täglich Anzug (oft mit Krawatte).

Auch die meisten der Studentinnen sind sorgfältig und manchmal sehr elegant angezogen. Hosen werden genauso oft getragen wie bei uns. Tief ausgeschnittene Oberteile sieht man selten, die Röcke sind höchstens kniekurz, meistens aber knöchellang ( und oft raffiniert geschnitten), Miniröcke sieht man überhaupt nicht, sie gelten als unanständig. Da etliche der Studentinnen (nicht alle) auf gutem Wege zu einer „traditionellen Figur“ sind, stehen ihnen die langen Kleider sowieso viel besser. Die bei uns überwiegend abgebildeten Hungerhaken der Modebranche sind hier auch für die jüngeren Frauen kein allgemeines Schönheitsideal. Einige der Studentinnen (und auch Studenten) hungern sich zwar auch schlank, aber nicht freiwillig, sondern weil sie mangels Geld oft mehrere Mahlzeiten auslassen.

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Der Sonnabend bringt das erste Bläserseminar, das ich leiten soll. Der Toyota Geländewagen ist bis unters Dach vollgestopft mit fünf Studenten, einem gewissen Pastor aus Deutschland, Instrumenten (incl. Tuba), Notenbüchern und –ständern und schippert uns zur Kirche in Sing´isi. Das ist ein Nachbarort, etwa zwanzig Minuten Autofahrt entfernt. Das heißt: fünf Minuten Asphaltstraße und dann einer jener Lehmwege, auf denen der Regen tiefe Rinnen und Löcher hinterlassen hat, und die jeden unserer normalen Straßenwagen im Handumdrehen erledigen würden.

Die Gemeinde hat keinen eigenen Posaunenchor, also kommen aus der Umgebung etwa 25 Bläserinnen und Bläser (die Bläserinnen sind mit zwei Vertreterinnen etwas in der Unterzahl) zwischen ca 20 und 70 Jahren alt. Der Gemeindepastor begrüßt uns alle, eröffnet das Seminar mit einer Bibellesung und Gebet und dann geht es zur allgemeinen Erheiterung mit Atemübungen los. „Phu- Thu- Khu“ kannte hier keiner- jetzt kennen sie´s (dass sie es auch noch machen, wenn der zwar ganz nette, aber etwas verrückte Mzungu wieder weg ist, wage ich zu bezweifeln).

Nach „Buzzing“ (Lippenstress) und Mundstückübungen soll es eigentlich mit den Instrumenten weitergehen, aber denkste – ein hundert Jahre altes Kuhlohorn streikt (es ist nicht wirklich so alt, sieht aber so aus). Nur das dritte Ventil bewegt sich noch, alles andere sitzt fest. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Bläserin damit geprobt hat. Ein paar Studenten mit starken Fingern erwecken die Ventile wieder zum Leben, und dann geht erst mal das allgemeine Ölen und Fetten los. Gar nicht so einfach, wie man denken mag, denn kein einziger Ventil- oder Stimmzug lässt sich bewegen. Die Drehventilinstrumente incl Baritone müssen durch das Mundrohr gefüttert werden – etwas unorthodox die Methode.

Es folgt die eindringliche Ermahnung, für das Ölen weder Autoöl, noch Nähmaschinenöl, noch Salatöl zu nehmen. Das bedeutet vermutlich, dass das nächste Ölen erst wieder in drei Jahren stattfindet, denn die nötigen Sachen kann man hier nicht kaufen. Schließlich geht es mit Einblasübungen und dann endlich mit insgesamt drei Musikstücken weiter: mit „Selig seid ihr“ aus unserem Posaunenchoralbuch, „Rock my soul“ aus dem Spielheft 2-3-4 und einem afrikanischem Stück.

Einer der Studenten übersetzt mein holperiges Englisch und meine abenteuerlichen Kisuaheli Versuche. Verständigungsschwierigkeiten haben wir keine, auch wenn nicht immer genau das ankommt, was ich eigentlich sagen wollte.

Ein Sinn dieser Seminare besteht darin, dass die Studenten stimmenweise die Stücke selbst mit den Bläsern einüben und hinterher auch das ganze Stück dirigieren. Das machen sie auch ganz gern, jedenfalls sehen sie am Nachmittag, als wir wieder abgeholt werden, ganz zufrieden aus.

Für einige von ihnen ist der Tag aber noch nicht zu Ende, denn sie wirken bei dem Konzert mit, dass das Quintett aus den USA heute gibt. Gespielt wird Musik von gegenwärtigen otafrikanischen Komponisten, perfekt dargeboten. Es sind ausgesprochen interessante Stücke, auch das Stück eines der Musikstudenten von Makumira ist dabei. Das ist schon etwas Besonderes, wenn ein Ensemble aus internationalen Orchestermusikern die eigenen Sachen öffentlich vorspielt.

Sonntag, 22. Mai 2011

Fünfte Woche

17. bis 21.Mai
Ich beschließe, den Tag meditierend im Sitzen zu verbringen, nur gelegentlich unterbrochen durch das Betätigen der Wasserspülung hinter mir. Schiet – im wahrsten Sinne des Wortes. Einen Tag lang bin ich lahmgelegt und matt wie eine Fliege im Herbst. Wenn das so weitergeht, passt mir bei meiner Rückkehr mein alter Konfirmandenanzug wieder.

Einer meiner Trompetenschüler hat Malaria. Übertragen wird sie durch Moskitos – ein Grund dafür, unter einem intakten Netz zu schlafen. Normalerweise muss die Mücke erst jemanden stechen, der Malaria hat, bevor sie jemand anderen anstecken kann. Je weniger Leute auf pro Fläche zusammenleben (wie z.B. im Bereich der Lehrerwohnungen), desto geringer ist die Gefahr von so einer Mücke gestochen zu werden, aber eine Garantie ist das nicht. Und die Studenten leben mit viel mehr Personen auf deutlich engerem Raum. Hier auf dem Campus ist man vorbereitet und hat für die verschiedenen Arten von Malaria entsprechende Medikamente. Für die ärmere Bevölkerung auf dem Land, die manchmal lange gehen muss, bevor sie überhaupt eine Station mit medizinischer Versorgung erreicht (und vielleicht nicht einmal das Medikament bezahlen kann), sieht es schlechter aus. Viele Kinder sterben an Malaria.

Ich übe mit dem Heft: „Musikalisch-technische Weiterbildung für Posaunenchorbläser“. Das wäre auch für hier eine gute Sache. Einmal sowieso und dann auch, um die Vorherrschaft der B-Notation für Trompeten zu brechen. Denn der jetzt lehrende Dozent greift natürlich auf die ihm bekannte internationale Literatur zurück, und die berücksichtigt die C-Notation für Posaunenchorbläser so gut wie gar nicht.

Der nächste Quartett-Einsatz steht bevor. Die Gruppe macht sich gut. Allerdings soll sie morgen am Freitag schon um 6:45 anfangen – der reine Horror.
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Der Freitag Morgen ist gewesen, glücklicherweise mit Strom und Licht, und der Choral des St.Anton ging auch ohne große Ausfälle über die Bühne.

Ich nutze einen freien Vormittag um allein mit dem Dalla-Dalla in die nächste Ortschaft zu fahren, einen Freund zu besuchen und eine etwas teurere Telefonkarte zu kaufen. Das ist eigentlich keine große Sache, aber ich muss mich mangels Dolmetscher selbst auf Kisuaheli nach dem Fahrpreis und einer Telefonkarte erkundigen. Der Fahrpreis ist nicht so richtig festgelegt – auf der Hinfahrt sind es tausend Shillinge und auf der Rückfahrt nur 800. Wahrscheinlich einmal mit Mzungu-Aufschlag und mal ohne. (Der Mzungu bin ich.)

Kisuaheli wird im Bereich der Tausender-Zahlen geradezu poetisch: Elfukumi heißt: 10.000 (soviel kostet eine größere Telefonkarte). Wenn man die Tausender von hinten wegstreicht und den Rest durch zwei teilt, hat man´s in Euro.

Die Musikstundenten sind alle zu einer Beerdigung gefahren. Der Vater eines Mitstudenten ist gestorben. Der Lehrbetrieb am Musik Department fällt so gut wie aus.

Ich erspare mir am Sonnabend die Morgenandacht. Die Studenten haben keine Vorlesung und es muss deshalb nicht pünktlich Schluss gemacht werden. Da ist die Versuchung für die Pastoren, Mammutpredigten zu halten, einfach zu groß. Und bei aller Liebe zu meinem Gastland – das ertrage ich nur einmal in der Woche, nämlich am Sonntag.

Dienstag, 17. Mai 2011


Vierte Woche

9. bis 15.Mai
Der Montag beginnt mit einer Wette beim Frühstück. Ich wette mit der Frau meines Chefs, dass ein Blockflötenquartett sehr wohl von einer sogen. „stillen Posaune“ begleitet werden kann.  Sie  hat das Brass Ensemble gehört und hält dagegen. Anfang Juni ist Showdown.

Das erste Quartett zur Freitagmorgenandacht hat seine Sache gut gemacht. Auch die nächsten beiden Quartette wecken Hoffnungen. Das vierte (das nur aus Unterstimmen besteht) probt eine nach F transponierte und für tiefe Instrumente eingerichtete Version von „Hagios ho Theos“. Sie machen Fortschritte – allerdings heißt das: eineinhalb Stunden Probe für vier Takte und am Ende trotzdem noch ein schöpferischer Umgang mit den Posaunenzügen. Wenn das so weitergeht, schaffen sie es bestimmt bis zum Erntedankfest, müssen dann in zwei Wochen allerdings singen.

Bei den Trompeten mit Pumpventilen (das sind hier die meisten) hat sich eine Unart in der Instrumentenhaltung festgesetzt: die Innenfläche beider Hände dicht am Instrument, beide Daumen gekreuzt in im engen Kontakt mit dem ersten Ventil, die Ellenbogen oft dicht an den Rippen. So kann man beten aber nicht Trompete spielen. Vor allem eine Benutzung des Triggers ist so unmöglich (was aber in den Augen der Studenten nichts macht, denn ihre Instrumente haben keinen). Besonders hartnäckig macht das ein Spieler mit Potential zu einem guten Trompeter, der außerdem das Transponieren von B- zu C-Notation ohne große Probleme bewältigt (ich hatte mit dem Tenorschlüssel größere Schwierigkeiten). Er hat eins der neuen Instrumente bekommen (mit Trigger am ersten und dritten Ventil). Meine freundliche Versicherung, eine andere Handhaltung sei besser, nimmt er etwas skeptisch entgegen. Allerdings ist er ein höflicher junger Mann und fasst die Trompete anders an. Ob er das auch macht, wenn ich nicht dabei bin, dafür lege ich meine Hand allerdings nicht ins Feuer

Ich habe inzwischen meine Liedervergleichsliste fertig. Man kann nun in zwei Richtungen herausfinden, welche tanzanischen und deutschen Lieder verwandt sind und welche Nummer sie haben. Allerdings sind in unserem Gesang- und damit auch im Posaunenchoralbuch viele Lieder tiefer gelegt worden, um den - sagen wir mal: gesangsentwöhnten – Gottesdienstbesuchern entgegenzukommen. Hier haben sie das Problem nicht und deshalb steht beispielsweise hier ein Lied in Es mit drei b und bei uns dasselbe Lied in D mit zwei Kreuzen. Das wäre für viele Posaunenchöre auf dem Lande ein Problem (klingt gestandenen Chorleitern irgendwie vertraut - oder?) Vor allem funktioniert dann der Trick mit dem dritten Ventil nicht mehr.

Im Gottesdienst überwiegen die homophonen Sätze, bei denen (fast) jede Stimme den Rhythmus der Melodie übernimmt. Jeder Akkord steht wie Ast neben dem nächsten, und wenn es irgend geht, beschränkt man sich auf drei Akkorde. Das klingt oft sehr schön.Viele Tanzanier können aus dem Stegreif mehrstimmig singen und machen das auch mit Begeisterung. Und die der griechisch-orthodoxen Kirche entlehnten liturgischen Melodien, sind – auf diese Weise zwei– bis vierstimmig gesungen - wunderbar.

Aber nach einer Weile klingt alles irgendwie gleich, und von den oft raffinierten Rhythmen in der hiesigen, eigenen Musik findet man da nichts. Eigenartigerweise sind die Melodien von afrikanischen Komponisten oft unbekannt und werden nur unsicher gesungen. So suchen die Pastoren meistens die alten englischen Kirchenschnulzen aus.

Gerechterweise muss ich sagen: nicht nur. 
Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, oder: Was Gott tut, das ist wohlgetan, oder Ein feste Burg, z.B. werden hier auch gern gesungen, und die Melodien verweigern sich Gott sei Dank dem satztechnischen Einheitsbrei. Großer Gott, wir loben dich, ist da leider nicht so widerstandsfähig.

Ein anderes fieses Erbe der englischen Kolonialzeit ist der Straßenverkehr. Man fährt links, und das heißt: Rechtsabbiegen – bei uns relativ problemlos – ist hier ein Abenteuer. Und ein Abenteuer ist es auch, als Beifahrer in eine Stadt wie beispielsweise Arusha zu fahren. Es gibt dabei einen gewissen Rhythmus: Verkrampfen! – entspannen, Verkrampfen!!! – entspannen, VERKRAMPFEN!!!!  - Entspannen. Die Verdauung ist noch Stunden danach in Aufruhr und die Nerven vibrieren wie eine hinter dem Steg gespielte Violin E-Saite.

Der Sonntag bringt ein Cello / Klavierkonzert, das die Tochter meines Uni-Chefs, Megan Stubbs spielt. Bach: Solo Cellosonaten, Brahms: Sonate für Cello und Klavier und Paganini: Variationen auf einer Saite (in diesem Fall die A-Saite). Gespielt wird in der Kirche des nicht einmal drei Jahre alten Klinikzentrums der Evangel. Luther. Kirche. Megan spielt mit viel musikalischem Gespür und einer enormen Technik, und ist mit Sicherheit eine Kandidatin für ein Studium dieses Instruments.

Ich  komme anlässlich des Nachmittags ins Gespräch mit der Frau eines Arztes am Klinikum. Wir sprechen darüber, woher die Tradition der Posaunenchöre in Tanzania kommt, und sie beklagt sich, dass die Deutschen dem Lande die unsäglichen „Weddings-Bands“ hinterlassen hätten. Dahinter verbirgt sich der Brauch, dass Bläser (auch solche aus den Posaunenchören) und (noch schlimmer) Musikstudenten sich ein Taschengeld damit verdienen, anlässlich einer Hochzeit auf einem offenen Pritschenwagen vor dem Brautauto herzufahren und mit voller Kraft und Lautstärke irgendetwas zu spielen. Es soll sich scheußlich anhören, aber sehr beliebt sein. Ich habe es selbst noch nicht gesehen und gehört, glaube aber jedes Wort. Allerdings lehne ich im Namen der gesamten deutschen Posaunenmusik jede Verantwortung für diese Entartung ab.

An diesem späten Nachmittag gestattet der Mount Meru ein Blick bis hinauf zu seiner Spitze, die eine beeindruckende Höhe von über 4000 Metern aufweist. Besteigen sollte man ihn nur mit einem Bergführer, der nicht nur die Pfade kennt, sondern auch bewaffnet ist – zum Schutz gegen wilde Tiere.




Montag, 16. Mai 2011

Dritte Woche

2. bis 8.Mai

Montag bis Mittwoch

Mein Stundenplan füllt sich. Inzwischen sind es acht Studenten, die mich um Extrastunden gebeten haben. Dazu kommen die vier Quartette, die zwei Abende mit dem Brass Ensemble und einige Seminarstunden, die ich besuche. Ich selbst hätte ja noch mehr Zeit für die Studenten, aber deren Stundenplan ist so voll, dass nicht allzu viele Terminmöglichkeiten übrigbleiben.

Mein Deutschunterricht schreitet voran. Erste Stunde: die Einführung von „Moin, Moin!“ Die Studenten, mit denen ich arbeite, haben inzwischen die richtige Antwort drauf. Zwar lässt sich damit nicht der Gesprächsbedarf eines ganzen Tages bestreiten – außer in Angeln natürlich – aber es ist schon mal ein Anfang. Nächstes Ziel ist die Etablierung von „Tschüß!“ Das wird sehr viel schwieriger, denn die Laute „ü“ und „ö“ kann ein Tanzanier kaum bewältigen. Wahrscheinlich wird ein „Tschuuss!“ draus. Wir spielen auch grundsätzlich: „Wie schon leuchtet der Morgenstern“.

Die Trombonen im Ensemble (hierzulande als Posaunen bekannt) sind eine Klasse für sich. Natürlich liegen die Züge nicht bei jedem Instrument ganz genau gleich, aber soo weit auseinander nun auch wieder nicht. Einige ziehen mit Sicherheit schneller als ihr Schatten, ganz schnell hin und her – einfach weil sie sich sagen: irgendwann ist der richtige Platz dabei.

Tom Hale bemüht sich außerdem, dem ganzen Ensemble beizubringen, dass Forte nicht mit brutaler Lautstärke gleichzusetzen ist, aber so richtig erfolgreich ist er nicht. Es liegt wohl an der großen Zahl und der unausgewogenen Mischung im Leistungsstand. Er hat aber auf die Schwierigkeiten im Brass Ensemble reagiert und kopierbares Übungsmaterial mit zusätzlichen leichten aber sehr schönen Stücken beschafft. Die Studenten dürfen die Kopien behalten, damit sie später einmal auf solches Material zurückgreifen können.

Das ist eigentlich eine gute Idee. Allerdings sind alle Trompetenstimmen in B-Notation geschrieben, dh., man muss alles einen Ton tiefer spielen als es dasteht. Dann gibt es auch Stimmen mit Horn-Notation und Tenorschlüssel. Die meisten der Studenten werden später Musiklehrer oder Kirchenmusiker. Sie werden mit einem Sängerchor zu tun haben, mit Gitarren, Blockflöten, Klavier oder Keyboard oder mit einem Posaunenchor. Keiner von den Sängern oder Spielern in diesen Gruppen braucht Noten in B-Notation oder wird sie überhaupt benutzen können. Was benutzt wird, ist in C-Notation geschrieben oder im Baßschlüssel. Unser Studienbuch ist da weitaus besser geeignet.

Zur Ausbildung der Studenten muss es natürlich gehören, dass sie verschiedene Schlüssel und Notationen lesen können, aber manchmal werden die Dinge nicht richtig zu Ende gedacht.








Das ganze Album

Montag, 9. Mai 2011

Mittwoch 27.04. bis Sonntag 01.05.2011


Ich wache fünf Stunden nach unserer Rückkehr aus Mwanza auf. Es ist 10:00 Uhr, und mich erwartet eine völlig verstaubte und verdreckte Ausrüstung - schöner Tagesbeginn! Nach zwei Stunden ist alles gewaschen und gesäubert. Ich habe erst am Abend etwas zu tun und kann Tagebuch schreiben und Fotos sortieren. Der Internetzugang ist immer noch ein Glücksspiel.

Abends um sechs ist „Brass -Ensemble“. Alle 18 Studenten, die ein Blechblasinstrument spielen, haben diesen Pflichttermin. Der amerikanische Hornist und Dozent Tom Hale dirigiert. Er zieht das sehr stramm durch, auch wenn deutliche Fehler das Klangbild beeinträchtigen. Er hat auch nur eine Stunde Zeit. Offensichtlich wird von den Studenten erwartet, dass sie üben. Ich kann nicht überblicken, ob sie das auch wirklich tun. Beim zweiten Durchgang soll ich eine Tenorposaune ersetzen und bekomme ein Notenblatt mit Tenorschlüssel. Der ist in unserer Literatur nicht üblich. Man muss alles eine Quinte höher spielen; im Prinzip gar nicht schwierig – wenn man es gewohnt ist. So scheitere ich beim Vom-Blatt-Spielen erst mal grandios und unterstütze stattdessen die Tuba als Hochbass.

An diesem Abend werden 4 Quartette eingeteilt, die bis Mitte Juli jeweils freitags morgens zur Morgenandacht ein Instrumentalstück spielen sollen. Ich soll es mit ihnen einstudieren und vorführfertig machen. Schon bei der Terminabsprache für die Proben zeigt sich, dass die Muskikstudenten zeitlich viel härter rangenommen werden als z.B. die Theologen, die viel mehr Zeit für eigene Arbeit und Studien haben.

Später erfahre ich, dass die Studenten zu viert in Zimmern wohnen, die eigentlich für zwei gebaut wurden. Die Zahl der Studenten ist seit dem Bau gestiegen, aber die Universitätsverwaltung ist ganz ungerührt: die meisten Tanzanier hätten noch weniger Platz. Ich schlucke etwas, bevor ich frage: wann und wo übt ihr denn? Wir dürfen auch abends die Musik-Unterrichtsräume benutzen, antwortet einer, nachts um 12 Uhr sind die meistens frei. Einen Posaunisten treffe ich beim Üben in einem so kleinen Räumen, dass ich Angst habe, er verbeult sich den Zug an der Wand. Kein Wunder, dass seine Posaune auch sonst meistens auf das Knie zielt. Gemessen an den Umständen sind vor allem einige Trompeter auf einem guten klanglichen Stand.

Ich nutze die nächste Gelegenheit und frage, warum denn alle dreiventiligen Baritone im Bass spielen und alle Posaunen im Tenor? Schließlich ist der Dreiventiler-Klang bei C und H der reine Horror. Die Antwort ist, dass sie alle erst seit einem Jahr dabei sind und die Höhe noch nicht kriegen. Hmmm...

 

Donnerstag

Am nächsten Tag fallen mir die Sohlen von den Schuhen. Ich habe ja ein zweites Paar mit, brauche aber unbedingt einen Schuster. Es gibt einen. Die siebzehnjährige Tochter meines „Chefs“, Megan Stubbs, die perfekt Kisuaheli spricht, begleitet mich durch ein kleines bewachtes Nebentor aus dem Campus in eine andere Welt. Direkt neben der Campusgrenze verläuft ein unbefestigter Weg, an dessen beiden Seiten sich Häuschen, Hütten und kleine Unterstände reihen und einen Dauermarkt bilden, auf dem die Leute auch wohnen. Englisch spricht hier kaum jemand. Ich werde zu einem Miniunterstand geführt, unter dem der Schuster seine „Werkstatt hat“. Er nimmt meine Schuhe – sie sollen „noch heute“ fertig werden. Und tatsächlich, nach drei Stunden sind sie fertig – sauber verklebt. Kosten: 1.500.- Schillinge, das sind 75 Cent.

Quartettprobe am Abend: eins meiner Freitagmorgen Quartette besteht nur aus tiefen Instrumenten, mit einem Bariton im Bass. Da treffen die Intonationsprobleme des Bläsers und die des Instruments so fatal aufeinander, dass ich den dritten Ventilzug für C und H drei Zentimeter herausziehe und ihm rate, das tiefe F mit 1/2/3 zu spielen. Das ist ein ziemlich schmutziger Trick, aber nur so wird es erträglich. Zum Glück muss er kein Fis oder Cis spielen. Die Wahl der Stücke ist mit dieser Methode allerdings erheblich eingeschränkt.

Freitag / Sonnabend

Ich erfahre, unter welchen persönlichen Bedingungen einige Studenten ihr Studium durchziehen. Einer der Trompeter hat 8 Geschwister, die mit ihrer Mutter eine Tagereise entfernt in sehr ärmlichen Verhältnissen wohnen. Er ist der Älteste, verantwortlich für alle, und nimmt das sehr ernst. Oder ein Posaunist, dessen kleiner Sohne vor einem Jahr starb, und der trotzdem einen Tag nach der Beerdigung für ein wichtiges Konzert an die Uni zurückkehrte und alles diszipliniert durchzog. Vor zwei Tagen musste er sich um seinen kleinen Bruder kümmern, den er ins Krankenhaus begleitete. Trotz alldem lässt er sein Studium nicht schleifen.

Am Sonnabend bin ich zu Besuch bei dem Missionswissenschaftler Andreas Heuser, der hier an der Uni lehrt. Er beklagt sich darüber, dass sehr viel auswendig gelernt werde, aber die Fähigkeit, zu vergleichen, abzuwägen und in gutem Sinne kritisch zu bewerten, nur schwer zu entwickeln sei.
Das mit dem Auswendiglernen ist mir auch schon aufgefallen. Gelernt wird im Wesentlichen akustisch, weniger durch Lesen. Vielleicht liegt es daran, dass unsere Kultur seit Jahrhunderten auf der Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort beruht, und diese hier auf der Entwicklung des gesprochenen, gehörten, und erinnerten Wortes.

Und noch etwas erzählt er mir: Auf Tanzania haben ja die Unruhen und Bürgerkriege der Nachbarschaft nie übergegriffen. Er sieht den Grund dafür u.a. in einer bewussten Politik der Vermischung, die seit der Zeit des ersten Präsidenten, Nyerere, betrieben wird. Lehrer z.B. werden so gut wie nie in ihrer Heimat eingesetzt, und Studenten bekommen einen Platz oft weit entfernt von ihrem Ursprungsort.

Sonntag

Ich werde ich mitgenommen zu einem Gemeindetag der deutschen Gemeinde in der Nähe von Moshi. Pastor dieser Gemeinde ist Uwe Nissen, ein Nordelbier. Heute treffen sich etwa 8 Familien vom Vormittag bis zum Nachmittag. Die meisten von ihnen sind in Einrichtungen verschiedener Missionswerke tätig. Man kennt sich. Andreas Heuser berichtet über charismatische Strömungen in der lutherischen Kirche des Landes. U.a. macht ein Ruhestandspastor als Heiler von sich reden. Die lutherische Kirche in Tanzania scheint sehr stolz auf ihn zu sein, von einem anwesenden Arztehepaar wird sein Wirken aber äußerst kritisch gesehen. Mir als verstocktem Anticharismatiker ist diese ganze Strömung so fremd wie einem Ostafrikaner ein Pelzmantel.

Nach dem Mittagessen gibt es einen Spaziergang durch lichte Wäldchen und Kaffeeplantagen mit vielen Gelegenheiten zu Gesprächen (auf deutsch – juhuu). Der Tag endet mit einem gemeinsamen Kaffeetrinken. Vier Stücke deutscher Kuchen - und zweieinhalb Wochen Gewöhnung an die afrikanische Küche sind im Eimer. Aber ich bereue nichts ...

Mittwoch, 4. Mai 2011

News aus Tansania - Teil 2


Donnerstag, 21.04.2011

Der Chor der Universität fährt über Ostern nach Mwanza am Viktoriasee. Das ist eine Tagesreise von 14 Stunden. Ich gehöre zwar nicht zum Chor, bin aber als Bläser dabei. Fünf weitere Studenten haben auch ihre Instrumente mit.Die Studenten mussten die Fahrt organisieren, das gehört zu ihrem Leerplan. Um nicht zuviel Geld für die Fahrt bezahlen zu müssen, haben sie Tickets in einem preiswerten Linienbus gekauft. Erst später stellt sich heraus, warum der Linienbus so preiswert war. Erste Überraschung: fast der gesamte Gepäckbereich ist mit fremder Fracht belegt, das bringt für den Betreiber extra Geld und für uns Probleme. Dass der Bus eine Stunde zu spät kommt, ist für niemanden eine Überraschung, dass die Betreibergesellschaft aber einige Plätze zweimal verkauft hat, schon. Wer in Arusha keinen Platz mehr bekommt muss unter lautstarkem Protest zurückbleiben. Kein Platz heißt: nicht mal irgendwie quer beim Fahrer auf dem irregulär abgelegten Gepäck oder auf den Stufen der Eingangstür.

Dann sind wir auf der (zuerst noch geteerten) Piste. Schon beim Motorengeräusch entsteht nicht nur ein gewisses Gefühl für das Alter des Busses sondern auch für ein beginnendes afrikanisches Abenteuer. Alles ist eng und vollgestopft. Ich sitze zum Glück in einer der beiden ersten Reihen und kann meine Beine ab und zu ausstrecken, wenn ich aufpasse, dem Fahrer dabei keinen Fuß auf den Kopf zu legen.

Afrikanische Entfernungen sind für die dicht aufeinanderhockenden Europäer eine böse Falle, und nach Mwanza gibt es keine direkte Verbindung. Man muss erst weite Strecken in eine völlig andere Richtung fahren, bevor man in die Richtung zum Viktoriasee abbiegen kann. Das dauert und dauert. Wenn sich genügend melden, hält der Fahrer unwillig an, nicht ohne etwas von „Fahrplan“ zu brummen, und der Inhalt des Busses ergießt sich in die afrikanische Steppe. Als alle wieder beisammen sind, hat der Herrscher über diesen automobilen Saurier noch mehr Grund, über die Piste zu heizen als vorher schon.

Staub, Staub, Staub – er ist rot und setzt sich in jede Ritze. Allmählich kann man Afrika auf der Zunge schmecken.Die Landschaft wechselt von der Busch- und Baumsteppe mit den Schirmakazien und Termitenhügeln zu einer Gegend, in der runde Felsen von gigantischer Größe aus dem Boden wachsen, als hätten da Riesenkinder gespielt und hinterher nicht aufgeräumt.

Nach sechs Stunden Fahrt ist dann endlich Pause in einem Straßenrestaurant. Das kann mehrere Busladungen abfüttern, aber bitteschön: gegessen wird im Bus, und Besteck gibt es auch nicht, man isst mit den Fingern. Das ist in Gegenden, die kaum von Touristen besucht werden, sowieso üblich. Eine Serviette zum Saubermachen muss reichen.

Weiter, weiter ... zwei Stunden vor Mwanza  (und vor Einbruch der Dunkelheit) ist allerdings Schluss – der Motor streikt. Der Mechaniker, der auf jeder Fahrt dabei sein muss (ich begreife jetzt, warum) repariert erst mal die Scheinwerfer. Da schwant uns Böses, denn das bedeutet, dass er damit rechnet, nicht vor Einbruch der Dunkelheit fertig zu sein. Er schafft es in zwei Stunden. Dafür sind wir dann doch sehr dankbar, denn inzwischen hat sich der Himmel zugezogen, und es blitzt und donnert von drei Seiten. Wir sitzen gerade wieder im Bus, als ein Sturzbach von Gewitterregen herunterkommt. Der Bus fährt extrem langsam, denn die Sicht reicht nur wenige Meter weit. Mit fast drei Stunden Verspätung erreichen wir Mwanza. Das können wir nicht nur sehen, sondern auch riechen. Mwanza riecht nach Fisch

Empfangen werden wir in einer Kirche, die noch keine Türen und Fenster hat. Auch der Fußboden ist noch im Zementrohbau. Das ist gar nicht so selten. Sobald das Gebäude ein Dach hat, wird es auch benutzt. Viele Gartenstühle aus Kunststoff sind für uns und für die empfangende Gemeinde auf gestellt, und wie üblich nehmen die wichtigen Leute an einem Präsidiumstisch Platz. Sehr ungewohnt für republikanisch denkende Europäer, aber es gehört zu den Pflichten als Gast, das zu akzeptieren.

Der Chor singt zur Begrüßung, es wird aus der Bibel gelesen und gebetet und alle werden vorgestellt, zuerst der Chorleiter, dann die verschiedenen Pastoren, die als studentische Chormitglieder dabei sind und natürlich auch Mchungaji Hans aus Ujerumani. Wenn nicht gerade gebetet, oder eine Rede gehalten wird, spielt fromme Musik neuerer Art von einer CD und ein Gemeindemitglied redet unaufhörlich durch ein Mikrofon. Jemand erklärt mir, das er ohne Pause zum Essen auffordert, und erklärt, was es alles gibt. Ich bin zwar kein Präsidiumsmitglied, aber als Mchungaji darf ich mich bei der ersten Runde mit Essen bedienen lassen. Jemand steht mit einer Schüssel und mit Heißwasser zum Händewaschen bereit. Das ist ein Ritual, das überall geübt wird – verständlich, denn gegessen wird ohne Besteck. Mit hummerroten Händen vom heißen Waschwasser, mache ich mich an den ersten Viktoriabarsch  meines Lebens. Ich habe ein Mittelstück erwischt, andere haben einen Kopf oder Schwanz, aber an jedem Stück ist eine Menge dran.

Es gibt eine weitere Autofahrt, bis wir in unserem Quartier ankommen, einer Art Ruhezentrum mit Gästehäusern. Mit meinem bin ich gut dran, denn ich muss es nur mit drei anderen Leuten teilen. Es besteht aus einem Zimmer mit vier Betten, und einem Regal, sowie einer  Toilette von der Größe einer Telefonzelle und einem Wasserhahn in Kniehöhe, unter dem ein Eimer steht. Es erfordert eine gewisse Gelenkigkeit, sich zu waschen, besonders die Haare. Immerhin, Wasser im Haus ist etwas, was sehr viele Tanzanier nicht haben.

Was ich allerdings gerne haben würde, ist ein intaktes Moskitonetz. Meins hat so große Löcher, dass selbst eine Fledermaus noch hätte hindurchfliegen können. Immerhin, bis jetzt hat mich noch kein Moskito gebissen und eine Fledermaus auch nicht.

Karfreitag, 22.04.2011

Wir begleiten als Chor den Gottesdienst um 8:00 Uhr, das heißt, wir werden um halb sieben abgeholt. Diese Kirche ist fast fertig, nur die Fenster fehlen noch. Insgesamt werden es drei Kirchen sein, zu denen wir während der Feiertage gefahren werden. In allen besteht das Gestühl überwiegend aus den auch bei uns bekannten Gartenstühlen aus weißem Kunststoff.

Karfreitag ist in Tanzania kein Feiertag, dass heißt, dass es auf den Straßen den üblichen Betrieb und das übliche Geschäftsleben gibt. Nur, dass eben die Christen zu den Gottesdiensten am Vormittag und am Nachmittag gehen. Der Tag heißt auch nicht Karfreitag sondern „Goodfriday“. Die Bläsergruppe ist immer ein wenig gekniffen bei dieser Fahrt. Wenn nicht die Pastoren von heute auf morgen die Lieder ändern, dann sind es die Chorproben, die den Bläser kaum Zeit zum Proben lassen, denn der einzige Nicht-Sänger, der Bläser ist, bin ich.

Inzwischen haben sich etwa 150 Gemeindeglieder versammelt. Die Pastoren (es sind immer mindestens zwei) ziehen zu: „Ich steh an der Krippen hier“ in die Kirche ein. Ich vermute man hat den Text etwas verändert, was mich nicht weiter stört, ich kann ihn ja eh nicht, aber auch die Melodie ist an einigen Stellen anders. Dann beginnen drei Stunden Gottesdienst und verlangen ein gehöriges Sitzfleisch.

Beim Gesang der Gemeinde werde ich neidisch. So etwas hört man bei uns bestenfalls noch auf Kirchentagen. Es klingt nicht immer schön, aber der Einsatz ist gewaltig. Die Gemeindeglieder haben entweder gar kein Gesangbuch oder höchstens eins mit Text, ohne Noten. Sie scheinen die Melodien (und oft auch die Texte) alle auswendig zu können. Viele Gemeindeglieder bringen auch ihre Bibel mit und verfolgen die Lesungen.

Es ist noch ein zweiter Chor da, der seine Sache sehr gut macht. Schade, dass er sich den Mikrophonen und Verstärkern verschrieben hat. Die sind nämlich nach dem Motto ausgesteuert: je lauter, desto näher mein Gott zu dir. (ernsthaft: mir ist einmal der Versuch einer theologischen Begründung für so etwas übersetzt worden. Die Einstellung: je lauter, desto besser, begegnet uns in diesen Tagen noch oft.

Eine Predigt unter zwanzig Minuten gilt nur für ausländische Gäste als akzeptabel. Die hiesigen Pastoren schaffen locker eine halbe bis dreiviertel Stunde - freisprechend. Wenn man sie an das Jesuswort von dem „viele Worte machen“ erinnern würde, bekäme man wohl zur Antwort: Paulus hätte doch auch so lange gepredigt. Aber bei dessen langen Predigten ist ja auch mal einer eingeschlafen und von der Mauer gefallen und beinahe umgekommen.

Der nächte Gottesdienst beginnt um 15:00. Die versammelte Gemeinde hat sich inzwischen verdoppelt. Um 18:00 hocken wir alle müde auf den Gartenstühlen und sehen dem zweiten Chor zu, der schon für Ostern probt.

Inzwischen hat eine Gruppe von Frauen das Abendessen vorbereitet. Sie haben überwiegend eine „traditionelle“ Figur und müssen auch etwas auf den Knochen haben, denn die Töpfe, die sie schleppen, sind größer als Babybadewannen und haben, vollgefüllt, einiges an Gewicht. Gekocht wird auf dem „mafiga“ einer traditionellen Dreistein- Kochstelle im Freien. Wir bekommen unseren Teller vollgefüllt, ein gemurmeltes: „nicht so viel“ wird gar nicht zu Kenntnis genommen. Ich weiß ja nicht, was auf Kisuaheli „Maria, ihm schmeckt´s nicht!“ heißt, aber so ähnlich hätten die Frauen wohl reagiert, hätten sie mich verstanden.
Das Abendessen dauert zwei Stunden. Wir sind zwar pappsatt aber auch hundemüde. Die Instrumente werden in der Kirche eingeschlossen, die Menschen in zwei Dalla-Dallas gestopft. Das bedeutet: 18 Leute in einen 12 Personen Kleinbus, der in Deutschland nur für maximal 9 Leute zugelassen wäre. Man sitzt Knie an Knie und stellt sich auf Sparatmung ein.
Irgendwann spuckt der Dalla-Dalla uns aus und wir fallen einfach nur müde in die Betten.

Karsonnabend, 24.04.2011

Kein Gottesdienst, kein Chorprogramm. Wir haben „Uhuru (mit noch was dran)“ also freie Zeit. Trotzdem soll uns aber ein Bus abholen, was er mit zwei Stunden Verspätung auch tut.
Es geht zur Hauptkirche von Mwanza. Wir werden mit einer Andacht und anschließendem Tee empfangen. „Tee“ heißt: es gibt auch immer einen Imbiß dazu und eine Halbliterflasche Wasser auf den Weg.

Dann geht es zum Hafen von Mwanza. Zahlreiche Marabus sitzen auf den Hallendächern, in denen der getrocknete kleine Fisch, der “Ndaga“ in großen Säcken aufbewahrt wird. Es riecht unabweisbar nicht nach Rosen. Am Landesteg legen gerade zwei kleine Fährboote an, die Menschen und Waren ausspucken. Manche trage die noch lebenden Hühner unterm Arm, andere Körbe in der Hand  - ein buntes Bild, zusammen mit den Frauen, die Bananen und andere Sache auf dem Kopf tragen und verkaufen wollen und dabei einen unnachahmlich eleganten Gang haben. Schwarze Falken fliegen gefährlich schnell zwischen den Leuten hindurch, um irgendetwas zu erwischen.

Wir gehen weiter, an den Hallen entlang, vorbei an Bergen von Ndaga, auf denen Frauen stehen und in gebückter Haltung den Fisch umschaufeln, damit er gut durchtrocknet und versackt werden kann. In einem abgetrennten Bereich werden andere Fische in Stücke gehackt und in große Schalen gepackt. Der berühmte Viktoriabarsch wird offensichtlich anderswo angelandet und verarbeitet; wir bekommen ihn nicht zu Gesicht.

Nächste Station ist ein Denkmal, das an ein schreckliches Fährunglück vor 15 Jahren erinnert. 700 Menschen ertranken damals. Das Denkmal ist auf einer steinigen Anhöhe gebaut worden. Wie oft in dieser Gegend ragen große, runde Felsen aus dem Bodensind – unverwittert, weil es hier nie friert. Von oben haben wir einen tollen Ausblick auf den Viktoriasee, „Nyanza“ wird er von den Bewohnern genannt. Er ist nicht zu überblicken, und der Bodensee ist nur ein Teich dagegen. Große, blauschimmernde Eidechsen flitzen zwischen den Felsen umher und Schatten ist knapp. Wir müssen nach einer Weile wieder hinunter, um keinen Sonnenstich zu bekommen, und werden zum Mittagessen auf das Anwesen eines Gemeindeglieds gefahren,  sehr schön gelegen und mit einem schattenspendenden Sonnensegel versehen.

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Ostersonntag, 25.04.2011 (Jumapili)
Ostern heißt es noch früher aufstehen. Der Gottesdienst beginnt um 7:00 Uhr. Eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn füllt sich allmählich die Kirche. Sogar die nur halbfertige Empore und Galerie, auf der nur die harten Bänke und nicht die bequemeren Gartenstühle stehen, wird mit benutzt. Geschätzte Zahl: ca 600 Leute. Die hohe Geistlichkeit zieht ein (ich steh an deiner Krippen hier). In diesem Fall sind es: der Bischof, ganz im anglikanischen Stil - inklusive Mitra - gewandet, und noch zwei Pastoren; dazu mindestens 2 Lektoren. Ein tanzanischer Fernsehsender ist mit einer Kamera vertreten. Überhaupt wird das Photographieren und Filmen im Gottesdienst sehr locker genommen und niemand wird gehindert oder schief angesehen.

Es beginnt mit einem Lied, dessen Melodie wir als „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ kennen. Das Keyboard macht ein Vorspiel und dann soll es mit Begleitung einer Trompete losgehen. Leider hat sich der ortsansässige Pastor ein Mikrophon gegriffen und singt so überlaut wie falsch. Das macht er noch mehrmals im Gottesdienst, aber keiner hat den Mut, ihm den Knochen wegzunehmen. Irgendwann allerdings hat die Gemeinde die Oberhand gewonnen und singt, wie sie es gewohnt ist; und gegen 600 in einer Kirche singende Tanzanier kommen kein Chor, keine Posaunengruppe, kein Keyboard oder Mikrophon mit Verstärker an. Ich bin in diesem Moment voll auf der Seite des Volkes.

Das zweite Lied ist: „O du fröhliche“ - vermutlich mit einem Ostertext. Das ist theologisch völlig in Ordnung, aber doch überraschend. Zwischen den Lesungen und den ersten Gebeten, singen und tanzen die Chöre, und dann kommt die Predigt, natürlich vom Bischof gehalten. Sie ist schon nach einer halben Stunde zu Ende, und ich glaube, die Leute haben die Kürze bedauert.

Nach drei Stunden ziehen alle aus der Kirche, gehen aber nicht etwa nach Hause, auch Bischof und Pastoren nicht. Denn jetzt wird der Naturalienteil der Kollekte versteigert. Das kann, angefangen bei einer Flasche Milch, über Eier, Gemüse, Bananen und Orangen, auch einmal ein Huhn oder sogar eine Ziege sein.

Viel Zeit zum Tee haben wir nicht, denn der 10Uhr Gottesdienst beginnt schon bald. Er hat nur die halbe Zahl der Gottesdienstgemeinde. Vieles wiederholt sich, Fernsehen ist aber nicht mehr da.


Nach dem Mittagessen gehen wir zu Fuß durch die Stadt an das Ufer des Viktoriasees. Imposante Felsgebilde ragen aus dem Uferwasser. Einer davon  heißt bis heute Bismarckfelsen, obwohl ja inzwischen über fünfzig Jahre englische Kolonialherrschaft und später 50 Jahre Unabhängigkeit ins Land gegangen sind. Am Anleger von Mwanza eine Überrasschung: Das Schiff „Viktoria“ liegt im Hafen. Jenes Schiff, das als deutsches Kanonenboot den Viktoriasee beherrschte, und das die Kaiserliche Marine bei ihrem Rückzug im 1.Weltkrieg selbst auseinanderbaute und geordnet versenkte (mit dem Plan, es später wieder zu bergen). Allerdings bargen es  dann die Engländer. Es fährt bis heute mit seinen alten Maschinen (und ohne Kanone) als Passagierschiff.

Ziel unseres Spaziergangs ist der Ort unseres Abendbrots. Hinter einem gar nicht auffälligen Haus befindet sich ein kleines Restaurant mit einem Innenhof. Der Hof hat einen Teil, der überdacht ist, ein anderer ist mit einem Pavillon versehen und einige Tische und Stühle stehen unter freiem Himmel. Alles ist nett und aufwendig mit weißen und roten Tücher verhängt, um die grauen Wände zu verbergen. Nach einer Weile trudeln alle ein, setzen sich und ruhen sich aus.

Der Himmel hat sich etwas zugezogen; es sieht nach Regen aus. Das allerdings ist ein Irrtum. Es ist nicht Regen, was da aufzieht. Innerhalb weniger Minuten verwandeln sich die Wolken in eine pechschwarze Wand. Ein paar Sekunden lang fallen dicke Tropfen und dann bricht eine Sintflut los, wie sie hier noch keiner erlebt hat. Ein Regenorkan tobt über die Stadt hinweg, es blitzt und donnert heftig, die Tische und Stühle im Freien machen sich auf die Wanderung, die Pavillon startet zum Abflug und die regenschwere Dekoration fällt von den Wänden. Nur unter dem Blechdach sind wir einigermaßen sicher. Der Strom fällt aus und man hört Feuerwehrsirenen. In der Küche werden Kerzen und Petroleumlampen angezündet; gekocht wird aber, zum Glück für unser Abendessen, mit Gas. Ein halbe Stunde lang wütet dieses Unwetter biblischen Ausmaßes, bis es sich allmählich beruhigt und alles aufgeräumt werden kann. Der Strom kommt wieder und die gute Laune auch. Der Chor singt bis zum Essen und auch danach noch. Morgen am Ostermontag wird der letzte Einsatz in einer dritten Gemeinde sein.


Ostermontag, 25.04.2011
Wir kommen in eine neue Gemeinde, mit einer riesigen Rundkirche, die noch keine Fenster und Türen und auch noch keinen richtigen Fußboden hat. Der Gottesdienst beginnt um 10:00. Die Gemeinde ist nicht ganz so zahlreich, aber immerhin etwas über 100 Leute stark. Neben unserem Chor ist noch ein anderer da, der es mit der Lautstärke aus den Boxen aber so gewaltig übertreibt, dass ich mir irgendwie diskret die Ohren zuhalten muss. Eine zweite Gruppe besteht aus neun, nicht mehr ganz jungen Frauen, die einen vermutlich biblischen Text singen und dazu tanzen. Das sieht sehr eindrucksvoll aus, mit fließenden Bewegungen der Arme und des Oberkörpers. Dabei bewegen sie sich kaum von der Stelle

Nachmittags versammelt sich wieder die Gemeinde. Aber nicht zu einem Gottesdienst sondern zu einer Art Fragestunde. Der Chor besteht ja aus etlichen Theologie- und auch Jurastudenten. Sie bemühen sich redlich jede Frage zu beantworten. Es geht um Taufe und um Kirchenzucht, und manchmal auch sehr Kurioses. Schließlich beschwert sich ein Mann über die geplanten Ordinationen von zwei Pastorinnen. Das sei doch wohl nicht biblisch. Da sind die Studentinnen natürlich angestochen, aber nicht nur sie, sondern auch viele Frauen in der Gemeinde und ebenso auch einige der Jurastudenten und Pastoren. Der Fragesteller hat keinen guten Tag. Später stellt sich heraus, dass er ein überaus freundlicher, herzlicher und hilfsbereiter Mensch ist – nur leider von nervtötender Frömmigkeit.

Inzwischen wird das Abendessen vorbereitet, die Dunkelheit kommt und ein ohrenbetäubend pfeifendes und sirrendes Geräusch beginnt, als ob irgendwo das Überdruckventil eines Dampfkessels abbläst. Es sind Zikaden, von einer Sorte, die wie die Maikäfer nur alle paar Jahre aus der Erde kriechen, in die Akazien fliegen und drei Wochen lang die ganze Nacht hindurch ihren Krach machen. Ein Tierchen meine ich in seinem Erdloch entdecken können. Es ist etwa vier Zentimeter lang und empört über die Störung, kann aber doch nicht anders, als immer wieder sein Hinterteil aus dem Loch zu stecken und mit den Flügeln seine entnervende Musik zu machen.

Bei diesem letzten Abendbrot lerne ich das rettende Wort „basi“ und bekomme meinen Teller nur halbvoll, wenn auch unter Kopfschütteln der Frauen. Armer Mzungu, kann nicht mal ordentlich essen ...

Dienstag, 26.04.2011

Wir werden pünktlich abgeholt, um zum Abfahrtsplatz zu kommen. Einen der Wagen fährt der freundliche Finanzvorsteher der letzten Kirchengemeinde, gutgelaunt und gut bei Stimme, denn er spricht nicht nur laut und lange das Gebet am Anfang der Fahrt, sondern singt auch um vier Uhr früh den ganzen Weg über Kirchenlieder. Das ist sicherlich gut für unser Seelenheil, erzeugt aber keinerlei Frohsinn auf unserer Seite.

Der große Bus für die Rückfahrt ist von derselben Sorte wie der von der Anreise, scheint aber etwas besser beisammen zu sein. Wir verpacken alle Instrumente und unsere Koffer und wissen schon jetzt, wie sie bei unserer Ankunft aussehen werden. Der Motor brüllt auf wie ein gereizter Löwe und die Rückfahrt beginnt. Alle hängen wie Zombies auf den Plätzen, und erst im Laufe des hellen Vormittags kommt in die einen oder anderen wieder Leben. Zum Glück haben wir noch nichts gegessen. Bei der Geschwindigkeit, mit der der Bus über die Bumps donnert, würde uns das Frühstück aus dem Mund hüpfen.

Die Hälfte der Strecke ist erreicht, als wir wieder in Singida Rast machen. Ich verzichte auf ein afrikanisches Mittagessen (genützt hat es mir nichts – im Laufe des Nachmittags bewahrheitet sich bei mir die Regel Nr 3 für Afrika-Touristen. Nr 1 heißt: Bleibe geduldig und höflich. Nr 2: In Afrika ist alles anders. Nr 3: Einmal kriegt jeder Durchfall). Ich finde das gemein, schließlich bin ich gar kein Tourist.

Es geht auf den Nachmittag zu, die Heimat ruft und wir sind inzwischen guter Dinge. Auf einmal macht der Bus klöternde und klackernde Geräusche. Wir stehen. Die Mechaniker sind alarmiert. Nachdem sie zwei Stunden geschuftet haben, ist klar, was los ist: Das Getriebe ist gebrochen. Der Getriebekasten ist jetzt ausgebaut und liegt offen auf der Straße. Nach einer weiteren Stunde ist klar, mit dem Bus geht nichts mehr. Die studentischen Organisierer reden hektisch in ihre Handys, einer fährt mit einem hilfsbereiten Privatfahrer in die nächste, dreißig Kilometer entfernte Stadt, um einen Ersatzbus zu organisieren. Ein anderer ruft einen ihm bekannten Pastor im nächsten Dorf an, der für uns und vor allem für die Babys in unserer Gruppe etwas zu essen besorgt.

Nach einer Weile taucht eine Frau mit einem Fahrrad auf, auf dem Gepäckträger zwei Schüsseln mit Ugali (Maispampe) und einer Gemüsesoße, die sie an die Studenten verkauft.. Ein zweites Fahrrad erscheint, mit zwei Kisten Cola, Fanta Sprite und Wasserflaschen.
Inzwischen haben andere Studenten ein Feuer gemacht, und wer nicht gerade Ugali isst, oder sorgenvoll die Straße entlang schaut, steht um das Feuer herum und singt Kirchenlieder. Zornige oder hysterische Stimmen hört man nirgendwo. Inzwischen ist es dunkel geworden, und die Versorgungsfahrräder verschwinden.

Endlich um 22 Uhr nachts, sehen wir die Lichter des Ersatzbusses. Alles wird umgepackt und mit sieben Stunden Verspätung geht die Fahrt weiter. Es ist vier Uhr morgens als wir Arusha erreichen. Sorgen macht uns noch die Polizei, die die großen Straßen ab Mitternacht für den Verkehr sperrt, zum Schutz der Reisenden vor Überfällen. Es dauert eine Weile, bis wir weiterfahren dürfen. Schließlich hat auch diese Reise ein Ende. Der Bus hält an den Häusern mit den Unterrichtsräumen. Ich wollte immer schon mal sehen, wie denn die Toiletten für die Studenten ausgerüstet sind und finde, jetzt ist unbedingt der richtige Zeitpunkt dafür.
Gegen fünf Uhr erreiche ich verdreckt und verschwitzt das Gästehaus auf dem Campus.
Ich liebe Afrika!