Mittwoch, 4. Mai 2011

News aus Tansania - Teil 2


Donnerstag, 21.04.2011

Der Chor der Universität fährt über Ostern nach Mwanza am Viktoriasee. Das ist eine Tagesreise von 14 Stunden. Ich gehöre zwar nicht zum Chor, bin aber als Bläser dabei. Fünf weitere Studenten haben auch ihre Instrumente mit.Die Studenten mussten die Fahrt organisieren, das gehört zu ihrem Leerplan. Um nicht zuviel Geld für die Fahrt bezahlen zu müssen, haben sie Tickets in einem preiswerten Linienbus gekauft. Erst später stellt sich heraus, warum der Linienbus so preiswert war. Erste Überraschung: fast der gesamte Gepäckbereich ist mit fremder Fracht belegt, das bringt für den Betreiber extra Geld und für uns Probleme. Dass der Bus eine Stunde zu spät kommt, ist für niemanden eine Überraschung, dass die Betreibergesellschaft aber einige Plätze zweimal verkauft hat, schon. Wer in Arusha keinen Platz mehr bekommt muss unter lautstarkem Protest zurückbleiben. Kein Platz heißt: nicht mal irgendwie quer beim Fahrer auf dem irregulär abgelegten Gepäck oder auf den Stufen der Eingangstür.

Dann sind wir auf der (zuerst noch geteerten) Piste. Schon beim Motorengeräusch entsteht nicht nur ein gewisses Gefühl für das Alter des Busses sondern auch für ein beginnendes afrikanisches Abenteuer. Alles ist eng und vollgestopft. Ich sitze zum Glück in einer der beiden ersten Reihen und kann meine Beine ab und zu ausstrecken, wenn ich aufpasse, dem Fahrer dabei keinen Fuß auf den Kopf zu legen.

Afrikanische Entfernungen sind für die dicht aufeinanderhockenden Europäer eine böse Falle, und nach Mwanza gibt es keine direkte Verbindung. Man muss erst weite Strecken in eine völlig andere Richtung fahren, bevor man in die Richtung zum Viktoriasee abbiegen kann. Das dauert und dauert. Wenn sich genügend melden, hält der Fahrer unwillig an, nicht ohne etwas von „Fahrplan“ zu brummen, und der Inhalt des Busses ergießt sich in die afrikanische Steppe. Als alle wieder beisammen sind, hat der Herrscher über diesen automobilen Saurier noch mehr Grund, über die Piste zu heizen als vorher schon.

Staub, Staub, Staub – er ist rot und setzt sich in jede Ritze. Allmählich kann man Afrika auf der Zunge schmecken.Die Landschaft wechselt von der Busch- und Baumsteppe mit den Schirmakazien und Termitenhügeln zu einer Gegend, in der runde Felsen von gigantischer Größe aus dem Boden wachsen, als hätten da Riesenkinder gespielt und hinterher nicht aufgeräumt.

Nach sechs Stunden Fahrt ist dann endlich Pause in einem Straßenrestaurant. Das kann mehrere Busladungen abfüttern, aber bitteschön: gegessen wird im Bus, und Besteck gibt es auch nicht, man isst mit den Fingern. Das ist in Gegenden, die kaum von Touristen besucht werden, sowieso üblich. Eine Serviette zum Saubermachen muss reichen.

Weiter, weiter ... zwei Stunden vor Mwanza  (und vor Einbruch der Dunkelheit) ist allerdings Schluss – der Motor streikt. Der Mechaniker, der auf jeder Fahrt dabei sein muss (ich begreife jetzt, warum) repariert erst mal die Scheinwerfer. Da schwant uns Böses, denn das bedeutet, dass er damit rechnet, nicht vor Einbruch der Dunkelheit fertig zu sein. Er schafft es in zwei Stunden. Dafür sind wir dann doch sehr dankbar, denn inzwischen hat sich der Himmel zugezogen, und es blitzt und donnert von drei Seiten. Wir sitzen gerade wieder im Bus, als ein Sturzbach von Gewitterregen herunterkommt. Der Bus fährt extrem langsam, denn die Sicht reicht nur wenige Meter weit. Mit fast drei Stunden Verspätung erreichen wir Mwanza. Das können wir nicht nur sehen, sondern auch riechen. Mwanza riecht nach Fisch

Empfangen werden wir in einer Kirche, die noch keine Türen und Fenster hat. Auch der Fußboden ist noch im Zementrohbau. Das ist gar nicht so selten. Sobald das Gebäude ein Dach hat, wird es auch benutzt. Viele Gartenstühle aus Kunststoff sind für uns und für die empfangende Gemeinde auf gestellt, und wie üblich nehmen die wichtigen Leute an einem Präsidiumstisch Platz. Sehr ungewohnt für republikanisch denkende Europäer, aber es gehört zu den Pflichten als Gast, das zu akzeptieren.

Der Chor singt zur Begrüßung, es wird aus der Bibel gelesen und gebetet und alle werden vorgestellt, zuerst der Chorleiter, dann die verschiedenen Pastoren, die als studentische Chormitglieder dabei sind und natürlich auch Mchungaji Hans aus Ujerumani. Wenn nicht gerade gebetet, oder eine Rede gehalten wird, spielt fromme Musik neuerer Art von einer CD und ein Gemeindemitglied redet unaufhörlich durch ein Mikrofon. Jemand erklärt mir, das er ohne Pause zum Essen auffordert, und erklärt, was es alles gibt. Ich bin zwar kein Präsidiumsmitglied, aber als Mchungaji darf ich mich bei der ersten Runde mit Essen bedienen lassen. Jemand steht mit einer Schüssel und mit Heißwasser zum Händewaschen bereit. Das ist ein Ritual, das überall geübt wird – verständlich, denn gegessen wird ohne Besteck. Mit hummerroten Händen vom heißen Waschwasser, mache ich mich an den ersten Viktoriabarsch  meines Lebens. Ich habe ein Mittelstück erwischt, andere haben einen Kopf oder Schwanz, aber an jedem Stück ist eine Menge dran.

Es gibt eine weitere Autofahrt, bis wir in unserem Quartier ankommen, einer Art Ruhezentrum mit Gästehäusern. Mit meinem bin ich gut dran, denn ich muss es nur mit drei anderen Leuten teilen. Es besteht aus einem Zimmer mit vier Betten, und einem Regal, sowie einer  Toilette von der Größe einer Telefonzelle und einem Wasserhahn in Kniehöhe, unter dem ein Eimer steht. Es erfordert eine gewisse Gelenkigkeit, sich zu waschen, besonders die Haare. Immerhin, Wasser im Haus ist etwas, was sehr viele Tanzanier nicht haben.

Was ich allerdings gerne haben würde, ist ein intaktes Moskitonetz. Meins hat so große Löcher, dass selbst eine Fledermaus noch hätte hindurchfliegen können. Immerhin, bis jetzt hat mich noch kein Moskito gebissen und eine Fledermaus auch nicht.

Karfreitag, 22.04.2011

Wir begleiten als Chor den Gottesdienst um 8:00 Uhr, das heißt, wir werden um halb sieben abgeholt. Diese Kirche ist fast fertig, nur die Fenster fehlen noch. Insgesamt werden es drei Kirchen sein, zu denen wir während der Feiertage gefahren werden. In allen besteht das Gestühl überwiegend aus den auch bei uns bekannten Gartenstühlen aus weißem Kunststoff.

Karfreitag ist in Tanzania kein Feiertag, dass heißt, dass es auf den Straßen den üblichen Betrieb und das übliche Geschäftsleben gibt. Nur, dass eben die Christen zu den Gottesdiensten am Vormittag und am Nachmittag gehen. Der Tag heißt auch nicht Karfreitag sondern „Goodfriday“. Die Bläsergruppe ist immer ein wenig gekniffen bei dieser Fahrt. Wenn nicht die Pastoren von heute auf morgen die Lieder ändern, dann sind es die Chorproben, die den Bläser kaum Zeit zum Proben lassen, denn der einzige Nicht-Sänger, der Bläser ist, bin ich.

Inzwischen haben sich etwa 150 Gemeindeglieder versammelt. Die Pastoren (es sind immer mindestens zwei) ziehen zu: „Ich steh an der Krippen hier“ in die Kirche ein. Ich vermute man hat den Text etwas verändert, was mich nicht weiter stört, ich kann ihn ja eh nicht, aber auch die Melodie ist an einigen Stellen anders. Dann beginnen drei Stunden Gottesdienst und verlangen ein gehöriges Sitzfleisch.

Beim Gesang der Gemeinde werde ich neidisch. So etwas hört man bei uns bestenfalls noch auf Kirchentagen. Es klingt nicht immer schön, aber der Einsatz ist gewaltig. Die Gemeindeglieder haben entweder gar kein Gesangbuch oder höchstens eins mit Text, ohne Noten. Sie scheinen die Melodien (und oft auch die Texte) alle auswendig zu können. Viele Gemeindeglieder bringen auch ihre Bibel mit und verfolgen die Lesungen.

Es ist noch ein zweiter Chor da, der seine Sache sehr gut macht. Schade, dass er sich den Mikrophonen und Verstärkern verschrieben hat. Die sind nämlich nach dem Motto ausgesteuert: je lauter, desto näher mein Gott zu dir. (ernsthaft: mir ist einmal der Versuch einer theologischen Begründung für so etwas übersetzt worden. Die Einstellung: je lauter, desto besser, begegnet uns in diesen Tagen noch oft.

Eine Predigt unter zwanzig Minuten gilt nur für ausländische Gäste als akzeptabel. Die hiesigen Pastoren schaffen locker eine halbe bis dreiviertel Stunde - freisprechend. Wenn man sie an das Jesuswort von dem „viele Worte machen“ erinnern würde, bekäme man wohl zur Antwort: Paulus hätte doch auch so lange gepredigt. Aber bei dessen langen Predigten ist ja auch mal einer eingeschlafen und von der Mauer gefallen und beinahe umgekommen.

Der nächte Gottesdienst beginnt um 15:00. Die versammelte Gemeinde hat sich inzwischen verdoppelt. Um 18:00 hocken wir alle müde auf den Gartenstühlen und sehen dem zweiten Chor zu, der schon für Ostern probt.

Inzwischen hat eine Gruppe von Frauen das Abendessen vorbereitet. Sie haben überwiegend eine „traditionelle“ Figur und müssen auch etwas auf den Knochen haben, denn die Töpfe, die sie schleppen, sind größer als Babybadewannen und haben, vollgefüllt, einiges an Gewicht. Gekocht wird auf dem „mafiga“ einer traditionellen Dreistein- Kochstelle im Freien. Wir bekommen unseren Teller vollgefüllt, ein gemurmeltes: „nicht so viel“ wird gar nicht zu Kenntnis genommen. Ich weiß ja nicht, was auf Kisuaheli „Maria, ihm schmeckt´s nicht!“ heißt, aber so ähnlich hätten die Frauen wohl reagiert, hätten sie mich verstanden.
Das Abendessen dauert zwei Stunden. Wir sind zwar pappsatt aber auch hundemüde. Die Instrumente werden in der Kirche eingeschlossen, die Menschen in zwei Dalla-Dallas gestopft. Das bedeutet: 18 Leute in einen 12 Personen Kleinbus, der in Deutschland nur für maximal 9 Leute zugelassen wäre. Man sitzt Knie an Knie und stellt sich auf Sparatmung ein.
Irgendwann spuckt der Dalla-Dalla uns aus und wir fallen einfach nur müde in die Betten.

Karsonnabend, 24.04.2011

Kein Gottesdienst, kein Chorprogramm. Wir haben „Uhuru (mit noch was dran)“ also freie Zeit. Trotzdem soll uns aber ein Bus abholen, was er mit zwei Stunden Verspätung auch tut.
Es geht zur Hauptkirche von Mwanza. Wir werden mit einer Andacht und anschließendem Tee empfangen. „Tee“ heißt: es gibt auch immer einen Imbiß dazu und eine Halbliterflasche Wasser auf den Weg.

Dann geht es zum Hafen von Mwanza. Zahlreiche Marabus sitzen auf den Hallendächern, in denen der getrocknete kleine Fisch, der “Ndaga“ in großen Säcken aufbewahrt wird. Es riecht unabweisbar nicht nach Rosen. Am Landesteg legen gerade zwei kleine Fährboote an, die Menschen und Waren ausspucken. Manche trage die noch lebenden Hühner unterm Arm, andere Körbe in der Hand  - ein buntes Bild, zusammen mit den Frauen, die Bananen und andere Sache auf dem Kopf tragen und verkaufen wollen und dabei einen unnachahmlich eleganten Gang haben. Schwarze Falken fliegen gefährlich schnell zwischen den Leuten hindurch, um irgendetwas zu erwischen.

Wir gehen weiter, an den Hallen entlang, vorbei an Bergen von Ndaga, auf denen Frauen stehen und in gebückter Haltung den Fisch umschaufeln, damit er gut durchtrocknet und versackt werden kann. In einem abgetrennten Bereich werden andere Fische in Stücke gehackt und in große Schalen gepackt. Der berühmte Viktoriabarsch wird offensichtlich anderswo angelandet und verarbeitet; wir bekommen ihn nicht zu Gesicht.

Nächste Station ist ein Denkmal, das an ein schreckliches Fährunglück vor 15 Jahren erinnert. 700 Menschen ertranken damals. Das Denkmal ist auf einer steinigen Anhöhe gebaut worden. Wie oft in dieser Gegend ragen große, runde Felsen aus dem Bodensind – unverwittert, weil es hier nie friert. Von oben haben wir einen tollen Ausblick auf den Viktoriasee, „Nyanza“ wird er von den Bewohnern genannt. Er ist nicht zu überblicken, und der Bodensee ist nur ein Teich dagegen. Große, blauschimmernde Eidechsen flitzen zwischen den Felsen umher und Schatten ist knapp. Wir müssen nach einer Weile wieder hinunter, um keinen Sonnenstich zu bekommen, und werden zum Mittagessen auf das Anwesen eines Gemeindeglieds gefahren,  sehr schön gelegen und mit einem schattenspendenden Sonnensegel versehen.

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Ostersonntag, 25.04.2011 (Jumapili)
Ostern heißt es noch früher aufstehen. Der Gottesdienst beginnt um 7:00 Uhr. Eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn füllt sich allmählich die Kirche. Sogar die nur halbfertige Empore und Galerie, auf der nur die harten Bänke und nicht die bequemeren Gartenstühle stehen, wird mit benutzt. Geschätzte Zahl: ca 600 Leute. Die hohe Geistlichkeit zieht ein (ich steh an deiner Krippen hier). In diesem Fall sind es: der Bischof, ganz im anglikanischen Stil - inklusive Mitra - gewandet, und noch zwei Pastoren; dazu mindestens 2 Lektoren. Ein tanzanischer Fernsehsender ist mit einer Kamera vertreten. Überhaupt wird das Photographieren und Filmen im Gottesdienst sehr locker genommen und niemand wird gehindert oder schief angesehen.

Es beginnt mit einem Lied, dessen Melodie wir als „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ kennen. Das Keyboard macht ein Vorspiel und dann soll es mit Begleitung einer Trompete losgehen. Leider hat sich der ortsansässige Pastor ein Mikrophon gegriffen und singt so überlaut wie falsch. Das macht er noch mehrmals im Gottesdienst, aber keiner hat den Mut, ihm den Knochen wegzunehmen. Irgendwann allerdings hat die Gemeinde die Oberhand gewonnen und singt, wie sie es gewohnt ist; und gegen 600 in einer Kirche singende Tanzanier kommen kein Chor, keine Posaunengruppe, kein Keyboard oder Mikrophon mit Verstärker an. Ich bin in diesem Moment voll auf der Seite des Volkes.

Das zweite Lied ist: „O du fröhliche“ - vermutlich mit einem Ostertext. Das ist theologisch völlig in Ordnung, aber doch überraschend. Zwischen den Lesungen und den ersten Gebeten, singen und tanzen die Chöre, und dann kommt die Predigt, natürlich vom Bischof gehalten. Sie ist schon nach einer halben Stunde zu Ende, und ich glaube, die Leute haben die Kürze bedauert.

Nach drei Stunden ziehen alle aus der Kirche, gehen aber nicht etwa nach Hause, auch Bischof und Pastoren nicht. Denn jetzt wird der Naturalienteil der Kollekte versteigert. Das kann, angefangen bei einer Flasche Milch, über Eier, Gemüse, Bananen und Orangen, auch einmal ein Huhn oder sogar eine Ziege sein.

Viel Zeit zum Tee haben wir nicht, denn der 10Uhr Gottesdienst beginnt schon bald. Er hat nur die halbe Zahl der Gottesdienstgemeinde. Vieles wiederholt sich, Fernsehen ist aber nicht mehr da.


Nach dem Mittagessen gehen wir zu Fuß durch die Stadt an das Ufer des Viktoriasees. Imposante Felsgebilde ragen aus dem Uferwasser. Einer davon  heißt bis heute Bismarckfelsen, obwohl ja inzwischen über fünfzig Jahre englische Kolonialherrschaft und später 50 Jahre Unabhängigkeit ins Land gegangen sind. Am Anleger von Mwanza eine Überrasschung: Das Schiff „Viktoria“ liegt im Hafen. Jenes Schiff, das als deutsches Kanonenboot den Viktoriasee beherrschte, und das die Kaiserliche Marine bei ihrem Rückzug im 1.Weltkrieg selbst auseinanderbaute und geordnet versenkte (mit dem Plan, es später wieder zu bergen). Allerdings bargen es  dann die Engländer. Es fährt bis heute mit seinen alten Maschinen (und ohne Kanone) als Passagierschiff.

Ziel unseres Spaziergangs ist der Ort unseres Abendbrots. Hinter einem gar nicht auffälligen Haus befindet sich ein kleines Restaurant mit einem Innenhof. Der Hof hat einen Teil, der überdacht ist, ein anderer ist mit einem Pavillon versehen und einige Tische und Stühle stehen unter freiem Himmel. Alles ist nett und aufwendig mit weißen und roten Tücher verhängt, um die grauen Wände zu verbergen. Nach einer Weile trudeln alle ein, setzen sich und ruhen sich aus.

Der Himmel hat sich etwas zugezogen; es sieht nach Regen aus. Das allerdings ist ein Irrtum. Es ist nicht Regen, was da aufzieht. Innerhalb weniger Minuten verwandeln sich die Wolken in eine pechschwarze Wand. Ein paar Sekunden lang fallen dicke Tropfen und dann bricht eine Sintflut los, wie sie hier noch keiner erlebt hat. Ein Regenorkan tobt über die Stadt hinweg, es blitzt und donnert heftig, die Tische und Stühle im Freien machen sich auf die Wanderung, die Pavillon startet zum Abflug und die regenschwere Dekoration fällt von den Wänden. Nur unter dem Blechdach sind wir einigermaßen sicher. Der Strom fällt aus und man hört Feuerwehrsirenen. In der Küche werden Kerzen und Petroleumlampen angezündet; gekocht wird aber, zum Glück für unser Abendessen, mit Gas. Ein halbe Stunde lang wütet dieses Unwetter biblischen Ausmaßes, bis es sich allmählich beruhigt und alles aufgeräumt werden kann. Der Strom kommt wieder und die gute Laune auch. Der Chor singt bis zum Essen und auch danach noch. Morgen am Ostermontag wird der letzte Einsatz in einer dritten Gemeinde sein.


Ostermontag, 25.04.2011
Wir kommen in eine neue Gemeinde, mit einer riesigen Rundkirche, die noch keine Fenster und Türen und auch noch keinen richtigen Fußboden hat. Der Gottesdienst beginnt um 10:00. Die Gemeinde ist nicht ganz so zahlreich, aber immerhin etwas über 100 Leute stark. Neben unserem Chor ist noch ein anderer da, der es mit der Lautstärke aus den Boxen aber so gewaltig übertreibt, dass ich mir irgendwie diskret die Ohren zuhalten muss. Eine zweite Gruppe besteht aus neun, nicht mehr ganz jungen Frauen, die einen vermutlich biblischen Text singen und dazu tanzen. Das sieht sehr eindrucksvoll aus, mit fließenden Bewegungen der Arme und des Oberkörpers. Dabei bewegen sie sich kaum von der Stelle

Nachmittags versammelt sich wieder die Gemeinde. Aber nicht zu einem Gottesdienst sondern zu einer Art Fragestunde. Der Chor besteht ja aus etlichen Theologie- und auch Jurastudenten. Sie bemühen sich redlich jede Frage zu beantworten. Es geht um Taufe und um Kirchenzucht, und manchmal auch sehr Kurioses. Schließlich beschwert sich ein Mann über die geplanten Ordinationen von zwei Pastorinnen. Das sei doch wohl nicht biblisch. Da sind die Studentinnen natürlich angestochen, aber nicht nur sie, sondern auch viele Frauen in der Gemeinde und ebenso auch einige der Jurastudenten und Pastoren. Der Fragesteller hat keinen guten Tag. Später stellt sich heraus, dass er ein überaus freundlicher, herzlicher und hilfsbereiter Mensch ist – nur leider von nervtötender Frömmigkeit.

Inzwischen wird das Abendessen vorbereitet, die Dunkelheit kommt und ein ohrenbetäubend pfeifendes und sirrendes Geräusch beginnt, als ob irgendwo das Überdruckventil eines Dampfkessels abbläst. Es sind Zikaden, von einer Sorte, die wie die Maikäfer nur alle paar Jahre aus der Erde kriechen, in die Akazien fliegen und drei Wochen lang die ganze Nacht hindurch ihren Krach machen. Ein Tierchen meine ich in seinem Erdloch entdecken können. Es ist etwa vier Zentimeter lang und empört über die Störung, kann aber doch nicht anders, als immer wieder sein Hinterteil aus dem Loch zu stecken und mit den Flügeln seine entnervende Musik zu machen.

Bei diesem letzten Abendbrot lerne ich das rettende Wort „basi“ und bekomme meinen Teller nur halbvoll, wenn auch unter Kopfschütteln der Frauen. Armer Mzungu, kann nicht mal ordentlich essen ...

Dienstag, 26.04.2011

Wir werden pünktlich abgeholt, um zum Abfahrtsplatz zu kommen. Einen der Wagen fährt der freundliche Finanzvorsteher der letzten Kirchengemeinde, gutgelaunt und gut bei Stimme, denn er spricht nicht nur laut und lange das Gebet am Anfang der Fahrt, sondern singt auch um vier Uhr früh den ganzen Weg über Kirchenlieder. Das ist sicherlich gut für unser Seelenheil, erzeugt aber keinerlei Frohsinn auf unserer Seite.

Der große Bus für die Rückfahrt ist von derselben Sorte wie der von der Anreise, scheint aber etwas besser beisammen zu sein. Wir verpacken alle Instrumente und unsere Koffer und wissen schon jetzt, wie sie bei unserer Ankunft aussehen werden. Der Motor brüllt auf wie ein gereizter Löwe und die Rückfahrt beginnt. Alle hängen wie Zombies auf den Plätzen, und erst im Laufe des hellen Vormittags kommt in die einen oder anderen wieder Leben. Zum Glück haben wir noch nichts gegessen. Bei der Geschwindigkeit, mit der der Bus über die Bumps donnert, würde uns das Frühstück aus dem Mund hüpfen.

Die Hälfte der Strecke ist erreicht, als wir wieder in Singida Rast machen. Ich verzichte auf ein afrikanisches Mittagessen (genützt hat es mir nichts – im Laufe des Nachmittags bewahrheitet sich bei mir die Regel Nr 3 für Afrika-Touristen. Nr 1 heißt: Bleibe geduldig und höflich. Nr 2: In Afrika ist alles anders. Nr 3: Einmal kriegt jeder Durchfall). Ich finde das gemein, schließlich bin ich gar kein Tourist.

Es geht auf den Nachmittag zu, die Heimat ruft und wir sind inzwischen guter Dinge. Auf einmal macht der Bus klöternde und klackernde Geräusche. Wir stehen. Die Mechaniker sind alarmiert. Nachdem sie zwei Stunden geschuftet haben, ist klar, was los ist: Das Getriebe ist gebrochen. Der Getriebekasten ist jetzt ausgebaut und liegt offen auf der Straße. Nach einer weiteren Stunde ist klar, mit dem Bus geht nichts mehr. Die studentischen Organisierer reden hektisch in ihre Handys, einer fährt mit einem hilfsbereiten Privatfahrer in die nächste, dreißig Kilometer entfernte Stadt, um einen Ersatzbus zu organisieren. Ein anderer ruft einen ihm bekannten Pastor im nächsten Dorf an, der für uns und vor allem für die Babys in unserer Gruppe etwas zu essen besorgt.

Nach einer Weile taucht eine Frau mit einem Fahrrad auf, auf dem Gepäckträger zwei Schüsseln mit Ugali (Maispampe) und einer Gemüsesoße, die sie an die Studenten verkauft.. Ein zweites Fahrrad erscheint, mit zwei Kisten Cola, Fanta Sprite und Wasserflaschen.
Inzwischen haben andere Studenten ein Feuer gemacht, und wer nicht gerade Ugali isst, oder sorgenvoll die Straße entlang schaut, steht um das Feuer herum und singt Kirchenlieder. Zornige oder hysterische Stimmen hört man nirgendwo. Inzwischen ist es dunkel geworden, und die Versorgungsfahrräder verschwinden.

Endlich um 22 Uhr nachts, sehen wir die Lichter des Ersatzbusses. Alles wird umgepackt und mit sieben Stunden Verspätung geht die Fahrt weiter. Es ist vier Uhr morgens als wir Arusha erreichen. Sorgen macht uns noch die Polizei, die die großen Straßen ab Mitternacht für den Verkehr sperrt, zum Schutz der Reisenden vor Überfällen. Es dauert eine Weile, bis wir weiterfahren dürfen. Schließlich hat auch diese Reise ein Ende. Der Bus hält an den Häusern mit den Unterrichtsräumen. Ich wollte immer schon mal sehen, wie denn die Toiletten für die Studenten ausgerüstet sind und finde, jetzt ist unbedingt der richtige Zeitpunkt dafür.
Gegen fünf Uhr erreiche ich verdreckt und verschwitzt das Gästehaus auf dem Campus.
Ich liebe Afrika!

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