Montag, 9. Mai 2011

Mittwoch 27.04. bis Sonntag 01.05.2011


Ich wache fünf Stunden nach unserer Rückkehr aus Mwanza auf. Es ist 10:00 Uhr, und mich erwartet eine völlig verstaubte und verdreckte Ausrüstung - schöner Tagesbeginn! Nach zwei Stunden ist alles gewaschen und gesäubert. Ich habe erst am Abend etwas zu tun und kann Tagebuch schreiben und Fotos sortieren. Der Internetzugang ist immer noch ein Glücksspiel.

Abends um sechs ist „Brass -Ensemble“. Alle 18 Studenten, die ein Blechblasinstrument spielen, haben diesen Pflichttermin. Der amerikanische Hornist und Dozent Tom Hale dirigiert. Er zieht das sehr stramm durch, auch wenn deutliche Fehler das Klangbild beeinträchtigen. Er hat auch nur eine Stunde Zeit. Offensichtlich wird von den Studenten erwartet, dass sie üben. Ich kann nicht überblicken, ob sie das auch wirklich tun. Beim zweiten Durchgang soll ich eine Tenorposaune ersetzen und bekomme ein Notenblatt mit Tenorschlüssel. Der ist in unserer Literatur nicht üblich. Man muss alles eine Quinte höher spielen; im Prinzip gar nicht schwierig – wenn man es gewohnt ist. So scheitere ich beim Vom-Blatt-Spielen erst mal grandios und unterstütze stattdessen die Tuba als Hochbass.

An diesem Abend werden 4 Quartette eingeteilt, die bis Mitte Juli jeweils freitags morgens zur Morgenandacht ein Instrumentalstück spielen sollen. Ich soll es mit ihnen einstudieren und vorführfertig machen. Schon bei der Terminabsprache für die Proben zeigt sich, dass die Muskikstudenten zeitlich viel härter rangenommen werden als z.B. die Theologen, die viel mehr Zeit für eigene Arbeit und Studien haben.

Später erfahre ich, dass die Studenten zu viert in Zimmern wohnen, die eigentlich für zwei gebaut wurden. Die Zahl der Studenten ist seit dem Bau gestiegen, aber die Universitätsverwaltung ist ganz ungerührt: die meisten Tanzanier hätten noch weniger Platz. Ich schlucke etwas, bevor ich frage: wann und wo übt ihr denn? Wir dürfen auch abends die Musik-Unterrichtsräume benutzen, antwortet einer, nachts um 12 Uhr sind die meistens frei. Einen Posaunisten treffe ich beim Üben in einem so kleinen Räumen, dass ich Angst habe, er verbeult sich den Zug an der Wand. Kein Wunder, dass seine Posaune auch sonst meistens auf das Knie zielt. Gemessen an den Umständen sind vor allem einige Trompeter auf einem guten klanglichen Stand.

Ich nutze die nächste Gelegenheit und frage, warum denn alle dreiventiligen Baritone im Bass spielen und alle Posaunen im Tenor? Schließlich ist der Dreiventiler-Klang bei C und H der reine Horror. Die Antwort ist, dass sie alle erst seit einem Jahr dabei sind und die Höhe noch nicht kriegen. Hmmm...

 

Donnerstag

Am nächsten Tag fallen mir die Sohlen von den Schuhen. Ich habe ja ein zweites Paar mit, brauche aber unbedingt einen Schuster. Es gibt einen. Die siebzehnjährige Tochter meines „Chefs“, Megan Stubbs, die perfekt Kisuaheli spricht, begleitet mich durch ein kleines bewachtes Nebentor aus dem Campus in eine andere Welt. Direkt neben der Campusgrenze verläuft ein unbefestigter Weg, an dessen beiden Seiten sich Häuschen, Hütten und kleine Unterstände reihen und einen Dauermarkt bilden, auf dem die Leute auch wohnen. Englisch spricht hier kaum jemand. Ich werde zu einem Miniunterstand geführt, unter dem der Schuster seine „Werkstatt hat“. Er nimmt meine Schuhe – sie sollen „noch heute“ fertig werden. Und tatsächlich, nach drei Stunden sind sie fertig – sauber verklebt. Kosten: 1.500.- Schillinge, das sind 75 Cent.

Quartettprobe am Abend: eins meiner Freitagmorgen Quartette besteht nur aus tiefen Instrumenten, mit einem Bariton im Bass. Da treffen die Intonationsprobleme des Bläsers und die des Instruments so fatal aufeinander, dass ich den dritten Ventilzug für C und H drei Zentimeter herausziehe und ihm rate, das tiefe F mit 1/2/3 zu spielen. Das ist ein ziemlich schmutziger Trick, aber nur so wird es erträglich. Zum Glück muss er kein Fis oder Cis spielen. Die Wahl der Stücke ist mit dieser Methode allerdings erheblich eingeschränkt.

Freitag / Sonnabend

Ich erfahre, unter welchen persönlichen Bedingungen einige Studenten ihr Studium durchziehen. Einer der Trompeter hat 8 Geschwister, die mit ihrer Mutter eine Tagereise entfernt in sehr ärmlichen Verhältnissen wohnen. Er ist der Älteste, verantwortlich für alle, und nimmt das sehr ernst. Oder ein Posaunist, dessen kleiner Sohne vor einem Jahr starb, und der trotzdem einen Tag nach der Beerdigung für ein wichtiges Konzert an die Uni zurückkehrte und alles diszipliniert durchzog. Vor zwei Tagen musste er sich um seinen kleinen Bruder kümmern, den er ins Krankenhaus begleitete. Trotz alldem lässt er sein Studium nicht schleifen.

Am Sonnabend bin ich zu Besuch bei dem Missionswissenschaftler Andreas Heuser, der hier an der Uni lehrt. Er beklagt sich darüber, dass sehr viel auswendig gelernt werde, aber die Fähigkeit, zu vergleichen, abzuwägen und in gutem Sinne kritisch zu bewerten, nur schwer zu entwickeln sei.
Das mit dem Auswendiglernen ist mir auch schon aufgefallen. Gelernt wird im Wesentlichen akustisch, weniger durch Lesen. Vielleicht liegt es daran, dass unsere Kultur seit Jahrhunderten auf der Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort beruht, und diese hier auf der Entwicklung des gesprochenen, gehörten, und erinnerten Wortes.

Und noch etwas erzählt er mir: Auf Tanzania haben ja die Unruhen und Bürgerkriege der Nachbarschaft nie übergegriffen. Er sieht den Grund dafür u.a. in einer bewussten Politik der Vermischung, die seit der Zeit des ersten Präsidenten, Nyerere, betrieben wird. Lehrer z.B. werden so gut wie nie in ihrer Heimat eingesetzt, und Studenten bekommen einen Platz oft weit entfernt von ihrem Ursprungsort.

Sonntag

Ich werde ich mitgenommen zu einem Gemeindetag der deutschen Gemeinde in der Nähe von Moshi. Pastor dieser Gemeinde ist Uwe Nissen, ein Nordelbier. Heute treffen sich etwa 8 Familien vom Vormittag bis zum Nachmittag. Die meisten von ihnen sind in Einrichtungen verschiedener Missionswerke tätig. Man kennt sich. Andreas Heuser berichtet über charismatische Strömungen in der lutherischen Kirche des Landes. U.a. macht ein Ruhestandspastor als Heiler von sich reden. Die lutherische Kirche in Tanzania scheint sehr stolz auf ihn zu sein, von einem anwesenden Arztehepaar wird sein Wirken aber äußerst kritisch gesehen. Mir als verstocktem Anticharismatiker ist diese ganze Strömung so fremd wie einem Ostafrikaner ein Pelzmantel.

Nach dem Mittagessen gibt es einen Spaziergang durch lichte Wäldchen und Kaffeeplantagen mit vielen Gelegenheiten zu Gesprächen (auf deutsch – juhuu). Der Tag endet mit einem gemeinsamen Kaffeetrinken. Vier Stücke deutscher Kuchen - und zweieinhalb Wochen Gewöhnung an die afrikanische Küche sind im Eimer. Aber ich bereue nichts ...

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