Montag, 30. Mai 2011

Sechste Woche 22. bis 28.Mai 2011

Der Sonntag beginnt für mich eigentlich mit dem 10:00 Uhr „Service“. Ich schaffe es, eine Stunde länger zu schlafen als sonst und wache erst um 7:00 Uhr auf. Da beginnt schon der erste Gottesdienst. Ich höre durch mein Fenster, wie sich die Studenten des „Kwaia Kuu“ einsingen.

Den 10:00 Uhr Gottesdienst begleitet der zweite Chor, der „Kwaia Neema“ (Chor der Gnade). Er ist kein A-Capella Chor, sondern wird begleitet von drei bis vier E-Gitarren und Keyboard samt aufwändiger Verstärkeranlage. Der Chor singt ohne Mikrophone, so dass die begleitende Band und die Anlage gut ausgesteuert sein müssen, um ihn nicht totzuschlagen. Und das haben die Studenten wirklich im Griff. Das übliche afrikanische: je lauter desto besser, fehlt hier völlig.

Gesungen wird afrikanisch-christliche Popularmusik und das peppig und in guter Qualität. Dabei bietet die Gruppe auch etwas für das Auge. Die ersten beiden Reihen bilden nämlich lauter hübsche, junge Frauen (zum Sonntag, genau wie die Männer, sehr schick angezogen), die nicht nur mit angenehmer Stimme singen, sondern sich zu ihren Liedern auch gut einstudiert bewegen. Unsere Konfirmanden würden Stielaugen machen.

Der Gemeindegesang ist wieder zum neidisch Werden. Ich bin die englischen Kirchenschnulzen zwar allmählich leid, aber sie werden mit Inbrunst mehrstimmig und ohne Noten gesungen (und auch ohne Orgelbegleitung). Und man muss ja zugeben: was nützen die schönsten deutschen Kirchenlieder, wenn der Gemeindegesang dünn ist? (Dabei bin ich eigentlich verwöhnt ...Gruß an Nusse ...).

An diesem Sonntag gibt es Abendmahl, das ich sonst, sogar an den Osterfeiertagen vermisst habe (am Gründonnerstag, saßen wir ja im Bus bzw. standen in der afrikanischen Steppe herum). Trotz meiner geringen Kisuaheli Kenntnisse sind einige liturgische Stücke gut zu erkennen. Der Wein wird in kleinen Kunststoffbechern gereicht, die schon gefüllt zu Dutzenden auf einem Tablett stehen und etwa doppelte Fingerhutgröße haben.

Und auch heute endet der Gottesdienst vor der Tür mit einem Chorgesang, der Versteigerung von Naturalien und einem Schlussgebet. Auch die ältesten Gottesdienstbesucher bleiben bis zum Ende dabei.

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Der Montagabend bringt eine Probe mit fünf Orchesterbläsern aus den USA, die sich zu einem Quintett zusammengefunden haben (Oboe, Fagott, Horn, Klarinette und Flöte). Gespielt werden zeitgenössische afrikanische Komponisten, die für westliche Instrumente geschrieben haben. Kommenden Sonnabend und Sonntag ist Konzert. So einer Gruppe von Profis aus der Nähe beim Proben zuzusehen, ist schon faszinierend.

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Anlässlich einer Einkaufsfahrt nach Arusha erzählt mein Uni-Chef von einer ländlichen Kirchengemeinde, die er einmal besucht hat und die „im Busch“ liegt. Das heißt: abseits jeder ausgebauten Straße, erreichbar nur zu Fuß oder im Geländewagen mit Vierradantrieb und großer Bodenfreiheit. Und das bedeutet auch: es gibt dort keinen Strom, keine zentrale Wasserversorgung und selbstverständlich keine Wegweiser und Ortsschilder. Wozu auch, die Leute wissen ja, wo sie wohnen.

Der Pastor hat eine weit verstreute Gemeinde, und da er zwar ein Handy aber kein Auto besitzt, besucht er sie jeden Monat zu Fuß. Das sind dann mal fünf, mal zehn und mal auch fünfzehn Kilometer. Er kann stundenlang gehen, ohne jemanden zu treffen oder etwa einem Fahrzeug zu begegnen.

Wenn er da ist, gibt es erst mal „Tee“ für ihn, und danach ist Gottesdienst. Da treffen sich dann alle in dem größeren oder kleineren Gebäude, das als Kirche dient. An einem Tag sind es vielleicht zweihundert Gemeindeglieder, am nächsten nur vierzig, weil dort nicht mehr Leute wohnen. Ist die nächste „Ortschaft“ zu weit weg, um sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, wird er selbstverständlich zum Übernachten eingeladen.

Von einer solchen abgeschiedenen Lebensweise machen wir uns gar keine Vorstellung mehr.

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Das Gästehaus, in dem ich ein Zimmer habe, wird voll. Sechs amerikanische Studentinnen ziehen ein. Alle sehr nett, aber ich werde um meinen Anteil an der Wäscheleine kämpfen müssen.

Morgens sitzt eine kleine Eidechse in der Duschwanne. Eidechsen sind hier, genau wie die Geckos, die senkrecht die Wände hochklettern, die ungezähmten Haustiere, ernähren sich von Insekten und kommen und gehen, wie sie wollen. Die Duschwanne ist allerdings eine Falle, denn die Seitenwände sind für das Tierchen zu hoch; ich muss es fangen und in die Freiheit setzen.

Am Nachmittag turnt ein ganzer Kindergarten von niedlichen Meerkatzen auf dem Blechdach des Gästehauses herum. Ein Muttertier mit den eigenen Kleinen und deren sämtliche Freunde und Freundinnen. Sie machen einen Höllenlärm, aber als ich sie filmen will, verschwinden sie in den Bäumen – blöde Affen ...

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Der Donnerstag ist vollgestopft mit Seminar- und Übungsstunden. Ich besuche regelmäßig das „African Ensemble“. Einige der Studenten stellen Tänze aus ihrer Heimat vor. Da könnten sie sich natürlich für meine Quälereien bei den Bläserproben revanchieren und mir zeigen, was mir alles an Rhythmus fehlt. Aber das tun sie nicht, dazu sind sie viel zu freundlich und höflich. (außerdem sieht man es auch so) Man geht bei diesen Tänzen meistens leicht in die Knie, beugt den Oberkörper etwas nach vorn und stellt die Füße seitlich auseinander - für einen Europäer, der in der Regel einen Stock verschluckt hat, eine ganz ungewohnte Haltung.

Die letzte Quartettprobe ist um neun Uhr zu ende, ich höre noch dem Bläserquintett aus den USA bei der Probe zu und dann ruft das Bett.

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Die neueste Entdeckung: es gibt auch auf dem Uni-Gelände kleine Läden. Sie heißen hier „Duka“ und bieten Gebrauchsgegenstände, Telefonkarten oder auch „First Class Haircutt“ an (kein Schreibfehler von mir). Man sollte sich allerdings bei vertrauenswürdigen Leuten erkundigen, was bei dem „Erste Klasse Haarschnitt“ zu erwarten ist, sonst sieht man hinterher aus wie Miss Piggy von den Muppets.

Viele der Studentinnen lassen sich aus ihren Haaren die Krause „herausglätten“. Das gilt als chic und modern, sieht aber nicht bei jeder gut aus. Normalerweise wird das Haar sehr kurz geschnitten und in kleinen Zöpfen mit unterschiedlichen Mustern dicht am Kopf getragen. Wird das nicht gemacht, dann entwickelt sich in kurzer Zeit ein zwanzig bisn dreißig Zentimeter hoher, dichter Wuschelkopf, den wir bei uns unter „Afro-Look“ kennen. So etwas tragen nur ganz wenige, wahrscheinlich ist das Pflegen viel zu mühsam.

Die Männer haben ihre Haar ganz kurz geschnitten (aus den gleichen Gründen wie die Frauen), aber keiner von ihnen trägt diese Zöpfe, denn das gilt als unmännlich. Einige laufen genauso lässig gekleidet herum, wie die Studenten bei uns auch, viele tragen aber täglich Anzug (oft mit Krawatte).

Auch die meisten der Studentinnen sind sorgfältig und manchmal sehr elegant angezogen. Hosen werden genauso oft getragen wie bei uns. Tief ausgeschnittene Oberteile sieht man selten, die Röcke sind höchstens kniekurz, meistens aber knöchellang ( und oft raffiniert geschnitten), Miniröcke sieht man überhaupt nicht, sie gelten als unanständig. Da etliche der Studentinnen (nicht alle) auf gutem Wege zu einer „traditionellen Figur“ sind, stehen ihnen die langen Kleider sowieso viel besser. Die bei uns überwiegend abgebildeten Hungerhaken der Modebranche sind hier auch für die jüngeren Frauen kein allgemeines Schönheitsideal. Einige der Studentinnen (und auch Studenten) hungern sich zwar auch schlank, aber nicht freiwillig, sondern weil sie mangels Geld oft mehrere Mahlzeiten auslassen.

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Der Sonnabend bringt das erste Bläserseminar, das ich leiten soll. Der Toyota Geländewagen ist bis unters Dach vollgestopft mit fünf Studenten, einem gewissen Pastor aus Deutschland, Instrumenten (incl. Tuba), Notenbüchern und –ständern und schippert uns zur Kirche in Sing´isi. Das ist ein Nachbarort, etwa zwanzig Minuten Autofahrt entfernt. Das heißt: fünf Minuten Asphaltstraße und dann einer jener Lehmwege, auf denen der Regen tiefe Rinnen und Löcher hinterlassen hat, und die jeden unserer normalen Straßenwagen im Handumdrehen erledigen würden.

Die Gemeinde hat keinen eigenen Posaunenchor, also kommen aus der Umgebung etwa 25 Bläserinnen und Bläser (die Bläserinnen sind mit zwei Vertreterinnen etwas in der Unterzahl) zwischen ca 20 und 70 Jahren alt. Der Gemeindepastor begrüßt uns alle, eröffnet das Seminar mit einer Bibellesung und Gebet und dann geht es zur allgemeinen Erheiterung mit Atemübungen los. „Phu- Thu- Khu“ kannte hier keiner- jetzt kennen sie´s (dass sie es auch noch machen, wenn der zwar ganz nette, aber etwas verrückte Mzungu wieder weg ist, wage ich zu bezweifeln).

Nach „Buzzing“ (Lippenstress) und Mundstückübungen soll es eigentlich mit den Instrumenten weitergehen, aber denkste – ein hundert Jahre altes Kuhlohorn streikt (es ist nicht wirklich so alt, sieht aber so aus). Nur das dritte Ventil bewegt sich noch, alles andere sitzt fest. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Bläserin damit geprobt hat. Ein paar Studenten mit starken Fingern erwecken die Ventile wieder zum Leben, und dann geht erst mal das allgemeine Ölen und Fetten los. Gar nicht so einfach, wie man denken mag, denn kein einziger Ventil- oder Stimmzug lässt sich bewegen. Die Drehventilinstrumente incl Baritone müssen durch das Mundrohr gefüttert werden – etwas unorthodox die Methode.

Es folgt die eindringliche Ermahnung, für das Ölen weder Autoöl, noch Nähmaschinenöl, noch Salatöl zu nehmen. Das bedeutet vermutlich, dass das nächste Ölen erst wieder in drei Jahren stattfindet, denn die nötigen Sachen kann man hier nicht kaufen. Schließlich geht es mit Einblasübungen und dann endlich mit insgesamt drei Musikstücken weiter: mit „Selig seid ihr“ aus unserem Posaunenchoralbuch, „Rock my soul“ aus dem Spielheft 2-3-4 und einem afrikanischem Stück.

Einer der Studenten übersetzt mein holperiges Englisch und meine abenteuerlichen Kisuaheli Versuche. Verständigungsschwierigkeiten haben wir keine, auch wenn nicht immer genau das ankommt, was ich eigentlich sagen wollte.

Ein Sinn dieser Seminare besteht darin, dass die Studenten stimmenweise die Stücke selbst mit den Bläsern einüben und hinterher auch das ganze Stück dirigieren. Das machen sie auch ganz gern, jedenfalls sehen sie am Nachmittag, als wir wieder abgeholt werden, ganz zufrieden aus.

Für einige von ihnen ist der Tag aber noch nicht zu Ende, denn sie wirken bei dem Konzert mit, dass das Quintett aus den USA heute gibt. Gespielt wird Musik von gegenwärtigen otafrikanischen Komponisten, perfekt dargeboten. Es sind ausgesprochen interessante Stücke, auch das Stück eines der Musikstudenten von Makumira ist dabei. Das ist schon etwas Besonderes, wenn ein Ensemble aus internationalen Orchestermusikern die eigenen Sachen öffentlich vorspielt.

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