Freitag, 10. Juni 2011

Siebte Woche

29. Mai bis 4.Juni
An diesem Sonntag tanzt der Bär in Makumira. Der 10:00 Uhr Gottesdienst wird gleich von zwei Chören mitgestaltet, dem Hauptchor der Uni und einem Gastchor aus Moshi, der für das auf heute verschobene Kantate-Musizieren eingeladen wurde. Zwei Stunden Gottesdienst, davon fünfunddreißig Minuten Predigt, aber der Prediger ist sehr lebendig und die Gemeinde lacht oft und spendet Beifall auf offener Kanzel.

Das Mittagessen fällt aus, denn gleich nach dem Gottesdienst wird in der großen Versammlungshalle der Uni geprobt. Zwanzig längere und kürzere Stücke stehen auf dem Programm. Für den Rektor sind eine viertel Stunde Ansprache vorgesehen. Er nutzt die Gunst der Stunde, um erstens eine viertel Stunde zu spät loszulegen und zweitens eine halbe Stunde lang zu reden.

Im ganzen Programm bekommt der Jugendchor des Musik Departments den größten Beifall. Rhythmisch begleitet von vier Musikstudenten, singen Kinder und Jugendliche von 5 bis 17 Jahren zwei afrikanische Stücke. Wie bei den meisten eigenen Liedern wird sich dabei auch bewegt, und das machen vor allem die Kleinsten so hinreißend, dass die ganze Halle in ein begeistertes Jubel- und Pfeifkonzert ausbricht.

Auch eins der Bläserquartette spielt, und alle sind aufgeregt, bis auf den Tubisten, der ist die Ruhe selbst. Es liegt wahrscheinlich am Instrument. Ich kenne jedenfalls nur ganz wenige hibbelige Tubisten.

Einige Studenten und die Solisten aus den USA brechen vor dem Ende des Kantatesingens nach Arusha auf. Ich kann als Gast dabei sein und erlebe das zweite Konzert mit Musik von ostafrikanischen Komponisten.

Im Anschluss gibt es für alle Beteiligten ein Abendessen in einem Restaurant in Arusha. Eigentlich ist das ein einziger Platz unter freiem Himmel, mit überdachten Sitzgelegenheiten an den Rändern. Als wir ankommen ist es bereits dunkel. Trotzdem ist klar erkennbar: jeder Platz ist belegt. Aber kein Problem: in Windeseile holt das Personal aus irgendeiner Ecke ein halbes Dutzend Tische und genügend Stühle herbei und wir sitzen. Einer meiner Quartettstudenten übersetzt mir, was es zu essen gibt, und ich bestelle Chips (Pommes frites) und Hühnchen. Ich weiß allerdings nicht, ob es auch wirklich das ist, was ich bekomme, denn ich kann nur erkennen, wo der Teller ist, aber nicht was drauf liegt.

Die Nacht ist sternenklar, wir können den Großen Wagen sehen (er steht hier auf dem Kopf) und bestimmen, wo Norden liegt (der Polarstern steht allerdings unter dem Horizont.) Es wird richtig kühl.

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Montag
Es ist hier in der Musik-Lehrpraxis einiges anders als bei uns. Eines Tages sehe ich an der Tafel Schreibübungen, allerdings nur einige Buchstaben: sssssffmmmdddddlllrrr.
Ich brauche eine Weile, bis mir klar wird: es ist das Do Re Mi Fa So La Ti Do Tonleiter-System. Die Studenten arbeiten viel damit und sind richtig gut darin.

In Musiktheorie (in diesem Fall Harmonielehre) wird mit dem Stufensystem gearbeitet. Für eine Kadenz in C Dur (aufgebaut auf C-F-G-C) heißt das hier: I – IV – V – I und nicht wie bei uns im Funktionssystem T-S-D-T (Tonika, Subdominante, Dominante, Tonika). OK, - Fachgeschwätz, aber es tut gut, hier die Zeit zu haben, sich damit beschäftigen und einiges ins Gedächtnis rufen zu können.

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Dienstag
Ich erlebe den Straßenverkehr in Arusha am Abend. Nicht weil es mir so viel Spaß macht, sondern weil ich mit zum Einkaufen fahre. Zuerst ist es ja noch hell, aber die Nebenstraßen, die wir nehmen müssen, sind so schlimm, dass sie wirklich nur mit einem Geländewagen befahren werden können – und das mitten in der Stadt! Diese Straßen haben kein Kanalisationssystem, sind also voll von tiefen Wasserrinnen und Löchern, und sie haben Fußwege,. Fußgänger haben sowieso keine Rechte, sie müssen eben aufpassen, dass sie nicht verunglücken. Natürlich darf man sie nicht absichtlich anfahren, aber wenn es doch passiert, haben sie selbst schuld. Zwischen ihnen und den Autos balancieren noch Radfahrer und geistern Motorräder auf jeder Seite des Weges in jeder Richtung herum.

Allmählich wird es dämmrig und ich erfahre, dass man aufpassen muss, wann man das Licht einschaltet. Bei Tage dürfen nämlich nur die „Big potatoes“ mit Licht fahren. Wer es trotzdem tut und nicht zu den besonders wichtigen Leuten gehört, riskiert einen Strafzettel, auch bei schwerem Regen und schlechter Sicht. Na, ja - es hat wohl jedes Land seine eigene Sammlung alberner Gesetze.

Mit der Dunkelheit wechselt der Verkehr von Chaos zu reinem Horror. Zwischen den normal beleuchteten Wagen fahren immer wieder Dalla-Dallas mit nur einem Scheinwerfer oder ganz ohne Licht. Radfahrer dümpeln natürlich auch ohne Beleuchtung herum. Ich würde auch ohne Unfall umkommen, wenn ich hier selbst fahren müsste - mir wird schon vom Zusehen ganz anders.

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Mittwoch
Hier geht alles seinen gewohnten Gang. Mein Hinweis, dass in Deutschland jetzt Kirchentag sei, weckt nur äußerst mildes Interesse. „Tatsächlich? Was ist das?“

Der Strom fällt zu völlig unberechenbaren Zeiten aus, in der Regel aber, wenn es dunkel ist. Der Verdacht, dass der staatliche Stromversorger gleichzeitig Generatoren verkauft, ist völlig abwegig, denn die meisten Tanzanier könnten sich keinen leisten.

Ich habe meine erste Probe mit dem ganzen Brass Ensemble, als es plötzlich zappenduster wird. Na - toll! Normalerweise springt hier in der Uni automatisch der große Generator an, aber jemand muss vergessen haben, die Automatik auch einzuschalten, denn es dauert fast eine viertel Stunde bis das Licht wieder kommt. In der Zwischenzeit ist die Probe natürlich nur sehr eingeschränkt möglich. Das nächste Mal werde ich Kadenzen spielen lassen, das geht auch ohne dass man etwas sieht.

Wie das beim nächsten Bläserseminar werden soll, das in einer Schule vom Nachmittag bis in den Abend hinein stattfindet, ist mir noch nicht so klar. Dass man dort einen Generator hat, ist sehr unwahrscheinlich.

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Für die Studenten gibt es am Donnerstag Abend eine Hörprobe. Sie müssen vor den anderen Studenten und den Dozenten etwas vorführen, was sie schon längere Zeit vorbereitet haben (oder auch nicht). Wenn sie es gut oder sehr gut machen, können sie damit Punkte sammeln und im Endeffekt ihre Gesamtnote verbessern.

Geboten werden Klavierstücke, Gesangssolo, Begleitete Posaunenstücke, Solotanz (sehr gekonnt!) und auch ein kleines Theaterstück. Beifall gibt es immer, mal ist er höflich, gelegentlich aber auch begeistert. Einige der Studenten lerne ich dabei von einer ganz anderen Seite kennen als bisher.

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Freitag
Am Nachmittag ist Starttermin für das Zwei Tage Seminar an zwei Orten: einer Schule mit Namen Agape in der Nähe von Mwika und in Mwika selbst. Wieder wird der Geländewagen vollgestopft (diesmal ohne Tuba) und eine Fahrt von drei Stunden beginnt.

Nach etwa zwei Stunden müssen wir von der Haupstraße (Dar es Salaam – Arusha) abbiegen und in die Landschaft fahren. Man merkt, wie sich das Gelände verändert. Es wird erst hügelig und dann richtig bergig. Der Baumbestand nimmt zu, man sieht viele Bananenplantagen und überall schimmert dir rote vulkanische Erde durch. Der Geländewagen muss einige hundert Meter an Höhe klettern, bevor wir in das große Areal der Agape Schule einfahren.

Dort erwartet uns eine Überraschung: Der für uns zuständigen Pastor Makusi muss uns unter vielen Entschuldigungen mitteilen, dass es ein Missverständnis gegeben habe: viele der Schüler, die eigentlich mit uns blasen sollten, sind schon nach Haus gefahren. Sie haben ihre Schuljahresexamina beendet, und jetzt sind ein paar Tage frei. Von den erwarteten 25 sind gerade noch mal 8 auf dem Schulgelände.

Das hindert uns aber nicht, mit ihnen anzufangen. Instrumentenpflege, Aufwärmübungen und Einblasen, und dann das erste Stück: Laudate omnes gentes. Es klappt gut. Aber inzwischen wird es dunkel, und wir müssen uns unter ein beleuchtetes Vordach verlegen.

Und da beginnen die Attacken der fliegenden Engerlinge. Das sind etwa vier Zentimeter lange bräunliche Insekten, die ohne Rücksicht auf Verluste alles rammen, was in ihrer Flugbahn liegt. Eins von den Biestern fliegt mir in den Kragen und ins Hemd. Ich kriege es mit einer schnellen Ausziehaktion (vor dem ganzen Ensemble natürlich) wieder raus, aber das alles macht die Probe von Swing low, sweet chariot doch etwas kompliziert.

Bald werden wir zum Abendbrot gebeten, und dann heißt es Einpacken und zum Übernachten nach Mwika fahren. Einer der Studenten,  kennt einen „shortcut“. Das bedeutet: wir fahren durch die nächtliche Berglandschaft auf Wegen, die nur selten von Autos befahren werden. Man sieht es an dem Gras, das nur von einer (Fußgänger-) Spur durchzogen wird (ansonsten wären es zwei). Das Gras verbirgt nur wenig von den Riesenwurzeln, Felsstücken und Regenlöchern, die diese Wege so „interessant“ machen. Am Tage ist es ja schon abenteuerlich genug, aber nachts, wenn man nur einen von den Scheinwerfern beleuchteten Streifen der Gegend sieht, wird es geradezu unheimlich. Jeden Moment erwartet man Elefanten auf dem Weg.

Mwika ist kühl und feucht. Es liegt um einiges höher als Makumira und das spürt man. In einem sehr ansehnlichen Gästehaus wartet schon Pastor Makusi auf uns. Die Zimmer sind schön und für maximal zwei Personen eingerichtet, mit einem geräumigen Badezimmer und endlich einmal anständigen Moskitonetzen über den Betten.

Das Kurioseste erfahren wir kurz vor dem Schlafengehen: eine Woche vor unserer Ankunft wurden in Mwika fünf Elefanten gesichtet – jetzt sind es schon neunzehn! Sie kamen aus Kenia. Drei von ihnen wurden geschossen und das Fleisch den Leuten überlassen, deren Gärten und Felder von den Elefanten verwüstet wurden. Einer unserer Studenten vermutet, dass die Heimatregion der Tiere in Kenia zu trocken wurde und sie deshalb sehr hungrig auf Wanderschaft gegangen seien. Wie auch immer – wir hätten auf dem Weg von Agape nach Mwika wirklich den grauen Riesen begegnen können.

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Sonnabend
Es gibt es um halb acht Frühstück. Unser erster Blick gilt dem Wagen – er ist Gott sei Dank heil und die Umgebung wurde nicht verwüstet. Die Elefanten waren also anderswo. Wir können zum etwas weiter entfernten Übungsraum gefahren werden.

Die jetzige Bibelschule Mwika ist aus einem der sehr alten deutschen Missionszentren entstanden. Die erste  Kirche ist noch erhalten, wird jetzt aber als Bibliothek genutzt. Außer einer neuen Kirche wurden auch andere Gebäude errichtet, die zu so einer „beinahe“ Universität gehören, also Schlafräume für die Studenten, sowie Seminar- und Vorlesungsräume. Auf  dem kleinen Campus sind die Studenten dabei, das Gelände und die Häuser zu säubern, außerdem ist allgemeiner Waschtag.

Mwika betreibt auch Landwirtschaft. Hinter dem Übungsraum stehen ein Kuh- und ein Schweinestall. Das wird uns schon klar, bevor wir sie sehen. Dass die Schweine direkt neben dem Musikübungsraum wohnen, ist eigentlich unsinnig. Zum Klavierspielen fehlt ihnen der Daumen und Singen kannst du ihnen nicht beibringen. Du selbst verschwendest deine Zeit, und die Schweine machst du nervös. Den Kühen allerdings ist das alles wurscht.

Wir erwarten etwa 25 Bläser, tatsächlich werden es 35. Zum Glück bringen sie auch Notenständer mit. Das ganze Programm beginnt von vorn. Es sind aber bei jedem Mal andere Leute, und die Instrumente sind für jede Überraschung gut, deswegen wird es nie langweilig.

Im Innenzug einer der Posaunen z.B. sieht es aus, wie in einem Kohlebergwerk, das seit zehn Jahren bestreikt wird. Also: Wasser in den Zug, Spiralbürste rein und säubern. Ergebnis: die Spiralbürste kommt tiefschwarz wieder heraus und das Wasser sprüht aus drei Löcher im Zugbogen. Vielleicht hätten wir den Dreck doch nicht wegmachen sollen. Neben uralt Kuhlohörnern, Ventilposaunen und Baritonen im Knitterlook, gibt es auch gut erhaltene und sogar fast neue Instrumente. Oft sind aber Ventilknöpfe auf abenteuerliche Weise ersetzt (oder auch gar nicht) und Löcher wie von einem Hufschmied verlötet (meine Entschuldigung an die Zunft der Hufschmiede).

Das Können der Bläser (unter ihnen nur zwei Frauen) ist extrem unterschiedlich. Einige sind ganz frisch dabei und wissen gerade mal, welches Ende des Instruments an den Mund gehalten werden muss. Wozu die komischen Knöpfe und Hebel da sind und warum sie ihre Finger nicht dazwischen stecken sollen, ist ihnen aber gar nicht klar. Andere erfassen sehr schnell die Noten und setzen sie mit einem sauberen Ton gut um.

Wir spielen das Menuett aus der Feuerwerkmusik von Händel. Es wird erst mal brutal vergewaltigt. Loud is beautiful. Man muss aber auch bedenken, dass keiner der Spieler ein eigenes Instrument hat. Sie nehmen auch die Chorinstrumente nicht mit nach Hause, um selbst zu üben, denn dort könnten sie gestohlen oder von der Verwandtschaft versilbert werden. In der Kirchengemeinde wird zwar mindestens zweimal in der Woche geprobt, aber auch die Chorleiter sind oft nicht gut ausgebildet, so dass Intonationsfehler und schlechte Angewohnheiten immer weiter bestehen bleiben. Und natürlich ist selten das Geld oder die Gelegenheit da, das Instrument zu reparieren, und an Ventilöl kommen sie gar nicht. Da kann auch ein Bläserseminar nicht viel ändern.

Aber immerhin, für den einen Tag erreichen wir ein bisschen. Die Stundenten aus Makumira proben mit den einzelnen Stimmen und müssen hinterher auch den ganzen Chor dirigieren. „Komm lieber Mai und mache“ kriegen wir tatsächlich so hin, dass der Mai hinterher nicht eine Woche lang taub ist.

Gerade mal drei Stücke schaffen wir in der Zeit von 9:00 bis 16:00 (mit Unterbrechungen für Tee und Mittagessen natürlich). Dann kommen unendlich lange Dank- und Gegenreden, so dass es fast 17:00 Uhr wird, bevor wir nach Hause fahren. Zum Abschied von diesem Tag gibt es noch einen freien Blick auf den Gipfel des Kilimanjaro, und ganz egal wie oft man ihn schon gesehen hat, er bleibt immer eindrucksvoll.





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