Mittwoch, 15. Juni 2011

8.Woche



Sonntag, 05.06. bis Sonnabend 11.06.

Ein Sonntag, an dem außer einem Gottesdienst gar nichts Besonderes anliegt, ist auch mal schön. Bei der langen Predigt verfalle ich allerdings in jene Starre, die manche Käfer anwenden, wenn sie auf dem Rücken landen. Ich sitze dabei allerdings aufrecht und hefte meinen interessierten Blick auf die Flamme der linken Altarkerze. Dann entferne ich mich innerlich aus der sichtbaren Hülle und gehe in Gedanken spazieren.

Offensichtlich machen die Gemeindeglieder etwas ähnliches, denn mitten in der Predigt heißt es auf einmal von der Kanzel: „Bwana siasifui!“ (der Herr sei gelobt).  Die Gemeinde soll daraufhin sagen: „Amen“. Macht sie das nicht laut genug, dann wiederholen der Pastor oder die Pastorin das noch mal lauter und energischer. Dann ist die Gemeinde natürlich gezwungen aufzuwachen. Manche Prediger wenden diesen Aufweck-Trick mehrmals in einer Predigt an, vermutlich, weil sie selbst das Gefühl haben, dass sie zu langatmig sind.

Heute überrascht mich die Gemeinde mit sauberem Gesang. Meine Einstellung zum Singen in der Kirche hier ist gespalten. Ich bewundere und beneide die Begeisterung beim Singen und die enorme Kenntnis der Lieder. Und es kann auch sehr schön klingen – kann. Tut es aber oft nicht. Vor allem die alten (deutschen und englischen) Kirchenschnulzen werden nicht selten so tranig, rhythmisch falsch und mit so ziehigen Tonrutschen gesungen, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen, und das sind mangels Friseur inzwischen ein Menge. Wenn diese Singweise zur Kultur der eigenen, afrikanischen Musik gehören würde (gehört sie in dieser Form aber nicht), müsste man das ja akzeptieren, aber sie singen z.B. auch die Melodie von: „Ich lag in tiefer Todesnacht“ (Johann Eccard) auf diese Art, und das ist unverzeihlich. Nun, ja - auch die Kirche in Afrika hat ihre verschiedenen Seiten.

Die Chöre beweisen, dass es auch anders geht, und heute beweist es auch die Gemeinde

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Montag
Mein Schuhfundi muss mich zum dritten Mal retten (was der wohl von mir denkt?) und mir die Hacken ankleben (ich meine natürlich die Absätze). Nach meiner Rückkehr sind sie reif für das Altenteil (die Schuhe). Sie sind gerade wieder in Ordnung, da schaffe ich es, mich auf meine Brille zu setzen - kein Totalschaden, aber sie ist doch arg verbeult. Wenn der eine Bügel auf dem Ohr sitzt, piekst mich der andere in die Nase. Das ist keine Bagatelle, wenn man selber in Afrika und der Optiker 14 Flugstunden entfernt ist! Nach einer leichten Panikattacke bekomme ich sie aber mit Hilfe meines Posaunen-Notfallkästchens wieder hin.

Die Bläserseminare sind ein Erfolg, aber ein Ergebnis ist, dass ich gebeten werde, die Aufwärm-  und Einblasübungen mit Noten und (englischen!) Kommentaren zu Papier zu bringen, damit die Bläser sie mit in ihre Chöre nehmen können. Die Studenten sollen dann alles in Kisuaheli übersetzen.

Wenn sie sich beim Übersetzen auf die Noten beschränken würden, wäre das ja nicht so schlimm, ich befürchte nur, dass mein Englisch einen herben Rückschlag für die Völkerverständigung bedeutet. Davon abgesehen aber wäre eine Kisuaheli-Ausgabe  des Heftes „Musikalisch-technische Weiterbildung für Posaunenchor-Bläser“ eine unschätzbare Großtat für die Posaunenchor-Kultur in ganz Tanzania (vorausgesetzt, der Titel wird gekürzt).

Inzwischen weiß ich, was der Name für die tanzanische Landplage: „Dalla-Dalla“ eigentlich bedeutet: es ist eine Bezeichnung für jemanden, der ein bisschen dämlich und bescheuert ist – eben dalla-dalla im Kopf.

18:00 - Brass Ensemble: Der Gesamtklang hat sich nach anderthalb Monaten deutlich gebessert, obwohl immer noch einige Trombonen mit rauchendem Rohr durch die Harmonik hetzen und andere verbissen Vierteltonmusik produzieren.

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Dienstag
Da die Methode: „Those, who can´t do, teach“ sich hier nicht gut macht, übe ich jetzt viel aus dem roten Technik Heft. Unter den Studenten entwickelt es sich zum Renner, denn Übungs- und Spielmaterial ist Mangelware. Wenn wir das vorher gewusst hätten ... aber das mitgebrachte Studienbuch ist schon mal eine gute Sache.

Auf der wöchentlichen Einkaufsfahrt in Arusha werde ich auf die vielen Leute aufmerksam gemacht, die mit kleinen Jobs versuchen, sich über Wasser zu halten, bis hin zu den Ladenbesitzern an den Straßen und Wegen. Da sind erst mal die „Parking Girls“ in den Hauptstraßen, die sofort da sind, wenn man einen Parkplatz besetzt und hundert Shilling kassieren (fünf Cent). Das machen sie ganz offiziell. Manchmal erscheint allerdings nach einer viertel Stunde die nächste und kassiert noch mal.

Dann kommen, meist schon mit ihnen zusammen, Frauen, die auf dem Kopf Pappkartons oder Körbe tragen mit Obst, Gemüse oder auch ganz anderen Artikeln, die sie verkaufen wollen. Sie haben keinen  festen Platz mit Tisch und schon gar keinen Laden, sondern sind Tag für Tag mit ihren Sachen am Straßenrand unterwegs. Männer sieht man selten so herumziehen, es gibt aber ein paar. Sie verkaufen keine Lebensmittel, sondern eher Hemden oder Sandalen.

Etwas besser gestellt sind die Frauen, die in den Nebenwegen einen Platz am Rand belegen können. Dort breiten sie auf Decken aus (manchmal ganz schön weit in die Fahrbahn hinein), was sie für den Tag anzubieten haben. Meistens sind das Obst und Gemüse aber auch andere Lebensmittel. Man muss als Fahrer sehr aufpassen, um nicht Ketschup oder Bananenbrei zu produzieren.

Noch eine Stufe höher stehen die Frauen (und dann auch schon mal Männer) die nicht auf dem Boden hocken müssen, sondern einen Tisch( manchmal mit Sonnendach) besitzen. Auch hier reicht das Angebot von Lebensmitteln bis Bekleidung, oder anderen billigen Alltagssachen. Bevor es dunkel wird, kommt jemand mit einer Handkarre und alles wird eingepackt.

Dann gibt es die „Dukas“, kleine – wirklich kleine – Läden, meistens ohne Fenster, lediglich  mit einer Tür nach draußen, die so ziemlich alles anbieten. Dazu gehören auch Dienste, wie Haare schneiden, die kurzen Zöpfe flechten oder Fingernägel aufpeppen. Oft sind es fünf oder sechs Zimmerchen in einer Reihe, und ihre Mieter verlagern so viel wie möglich vom Angebot nach draußen. Die Außenwände sind alle grau verputzt. Man macht sich, wenn man es nicht gesehen hat, gar keine Vorstellung davon, wie farblos grau die meisten Häuser der Tanzanier sind, auch die, in denen sie wohnen. Das erklärt sich aber schnell, wenn man weiß, dass Farbe teuer ist und haltbare Fassadenfarbe fast unbezahlbar.

Besonderen Gewinn erzielen all diese Verkäufer oder Kleinladenbesitzer in der Regel nicht. Die meisten überleben gerade so. Wer mehr Geld hat und mehr Umsatz macht (und deswegen auch die Miete bezahlen kann), hat einen Laden in den besser ausgebauten Straßen.

Wenn man weiß, wo, kann man in den verschiedenen Läden auch Sachen von guter Qualität bekommen. Der eine Laden hat einen Artikel, der gut ist, ein anderer Laden einen anderen, während der Rest nicht viel taugt. In dem einem Laden bekommt man ganz gutes Werkzeug, sollte aber von den Elektronikgeräten lieber die Finger lassen. Ein anderer bietet Computerteile zu recht hohen Preisen an, aber die Kenner der Ladenszene wissen, dass die Sachen europäischem oder amerikanischem Standard entsprechen, während man sonst chinesischen Schrott bekommt (der in Europa nicht angeboten wird, hier aber massenweise).

Bevor ein Mann oder eine Frau einen kleinen Laden aufmachen können, müssen sie sich erst mal Geld für die Einrichtung leihen. Das ist bei den Banken unmöglich, denn die geben Kredite zu Zinssätzen von mehr als 25%. Es gibt keine Gesetze dagegen. Tanzania ist ein Paradies für Wucherer. Also leiht man es sich von Freunden und Verwandten und richtet alles so billig wie möglich ein.

Es ist überhaupt ein Fluch des Landes, dass alles so billig wie möglich sein muss. Natürlich taugen die billigen Sachen nicht viel und müssen schneller ersetzt werden. Das Ganze rechnet sich nicht, aber Nachhaltigkeit in der Planung und langfristige Berechnungen sind den meisten nicht nur fremd, sondern völlig unbekannt. Das ist nicht etwa nur bei einfachen Leuten so, sondern auch bei vielen Regierungs- und Kirchenstellen. Diejenigen, die es anders machen, sind dann auch die Erfolgreichen. (Auch die gibt es bei den Kirchen.)

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Mittwoch
Als ich aufwache hängt über mir ein vier Zentimeter großes Geckobaby kopfüber im Inneren des Moskitonetzes und ist gar nicht erfreut, dass ich es da raus haben will. Geckos können bis zu 20 Zentimeter lang werden. Dann klettern sie aber nicht mehr in Moskitonetze.

Die Hörprobe von neulich wird in ein Konzert des Music Departments am 3.Juli münden. Einige der guten Darbietungen der Studenten (auch Tänze), Trommel- , Instrumental- und Chorstücke werden dabei sein und natürlich auch Bläsermusik.

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Donnerstag
Eigentlich ist der Donnerstag  einer meiner arbeitsreichsten Wochentage, aber der Hauptchor der Uni wird heute am frühen Abend Aufnahmen einiger Stücke machen. Dazu braucht er Extraproben, und die bringen den gesamten Übungsplan des Nachmittags durcheinander. Die meisten Bläser sind nämlich auch Chormitglieder. Das ist sehr sinnvoll, macht aber das Arbeiten ziemlich chaotisch. Mir fällt wieder auf, wie wenig Zeit          gerade die Bläser für gemeinsames Üben und Musizieren haben. Der Tag hat zuwenig Stunden für sie.

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Freitag
Beim Morgengebet ist wieder eins der Bläserquartette dran, ein Stück vorzuspielen: Komm lieber Mai und mache – immerhin von Mozart, und es weiß ja keiner, dass es keinen  geistlichen Text hat.

Der Vormittag ist frei und ich fahre nach Usa-River, um einen befreundeten Posaunenchorleiter zu besuchen. Dabei bekomme ich nicht nur eine Einladung für den dritten Gottesdienst am Pfingstsonntag (den um 8:00Uhr!), sondern werde auch noch aufgeklärt: diese Dalla-Dalla Kassierer haben mich all die Wochen ganz schön über den Tisch gezogen. Ein Mzungu Aufschlag ist bei den geringen Fahrpreisen ja durchaus OK, aber gleich das fünffache! – Jetzt akzeptieren sie auch den nur leicht erhöhten Fahrpreis.

Mein Gürtel ist auf dem letzten Loch angekommen. Kein Zweifel: AFRIKA MACHT SCHLANK!

- Auf dem Campus gibt es unangemeldete Gäste, die, kaum dass sie da sind, in den Bäumen rumturnen. Sie werden als „Blaue Affen“ bezeichnet, sehen viel dunkler aus als die Meerkatzen und flüchten beim geringsten Versuch, sie zu fotografieren, in die Baumkronen. Außerdem quaken hier nun schon den ganzen Tag Enten in den Bäumen (so hören sie sich jedenfalls an). Der Campus ist ja ein sehr geschützter Bereich, aber einige Merkwürdigkeiten der Tierwelt bekommt man trotzdem zu sehen oder zu hören. Z.B. gibt es hier einen weiß-gelb-schwarzen Schmetterling, groß wie eine kleine Kinderhand, der in irrer Geschwindigkeit wie besoffen durch die Büsche schaukelt. Von den Schlangen war schon die Rede. Ein Exemplar habe ich jetzt zu Gesicht bekommen – tot allerdings (die Schlange).

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Sonnabend
Die Woche klingt gemütlich aus. Zwar ercheint ein Student eine Stunde zu spät zu seinem morgendlichen Unterricht, aber er hat Glück, denn der nachfolgende ist krank geworden. Einem Trompeter , beim Proben zu helfen, der sein Examensstück in B-Notation bekommen hat, ist schon eine Herausforderung. Ich muss mit der Posaune alles einen Ton tiefer spielen als es da steht und kenne das Stück gar nicht. Aber man muss hier flexibel sein.

Am Nachmittag kommt einer der Studenten mit seinem Laptop vorbei. Er hat ein deutsches Notenschreibprogramm drauf, sodass ich die heiß ersehnten „Warm-ups“ eintippen kann. Eigentlich erscheint es widersinnig, nach Afrika „Warm-ups“ zu bringen. Die Regenzeit ist praktisch schon zuende, die Sonne wird zunehmend heißer, und an manchen Tagen brauchen wir eher „Cool-downs“

Diese blauben Affen turnen am Abend ganz in der Nähe des Gästehauses in den Bäumen herum und stimmen ein hämisches Gelächter an, weil es zum Fotografieren zu dunkel ist.

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