Dienstag, 17. Mai 2011


Vierte Woche

9. bis 15.Mai
Der Montag beginnt mit einer Wette beim Frühstück. Ich wette mit der Frau meines Chefs, dass ein Blockflötenquartett sehr wohl von einer sogen. „stillen Posaune“ begleitet werden kann.  Sie  hat das Brass Ensemble gehört und hält dagegen. Anfang Juni ist Showdown.

Das erste Quartett zur Freitagmorgenandacht hat seine Sache gut gemacht. Auch die nächsten beiden Quartette wecken Hoffnungen. Das vierte (das nur aus Unterstimmen besteht) probt eine nach F transponierte und für tiefe Instrumente eingerichtete Version von „Hagios ho Theos“. Sie machen Fortschritte – allerdings heißt das: eineinhalb Stunden Probe für vier Takte und am Ende trotzdem noch ein schöpferischer Umgang mit den Posaunenzügen. Wenn das so weitergeht, schaffen sie es bestimmt bis zum Erntedankfest, müssen dann in zwei Wochen allerdings singen.

Bei den Trompeten mit Pumpventilen (das sind hier die meisten) hat sich eine Unart in der Instrumentenhaltung festgesetzt: die Innenfläche beider Hände dicht am Instrument, beide Daumen gekreuzt in im engen Kontakt mit dem ersten Ventil, die Ellenbogen oft dicht an den Rippen. So kann man beten aber nicht Trompete spielen. Vor allem eine Benutzung des Triggers ist so unmöglich (was aber in den Augen der Studenten nichts macht, denn ihre Instrumente haben keinen). Besonders hartnäckig macht das ein Spieler mit Potential zu einem guten Trompeter, der außerdem das Transponieren von B- zu C-Notation ohne große Probleme bewältigt (ich hatte mit dem Tenorschlüssel größere Schwierigkeiten). Er hat eins der neuen Instrumente bekommen (mit Trigger am ersten und dritten Ventil). Meine freundliche Versicherung, eine andere Handhaltung sei besser, nimmt er etwas skeptisch entgegen. Allerdings ist er ein höflicher junger Mann und fasst die Trompete anders an. Ob er das auch macht, wenn ich nicht dabei bin, dafür lege ich meine Hand allerdings nicht ins Feuer

Ich habe inzwischen meine Liedervergleichsliste fertig. Man kann nun in zwei Richtungen herausfinden, welche tanzanischen und deutschen Lieder verwandt sind und welche Nummer sie haben. Allerdings sind in unserem Gesang- und damit auch im Posaunenchoralbuch viele Lieder tiefer gelegt worden, um den - sagen wir mal: gesangsentwöhnten – Gottesdienstbesuchern entgegenzukommen. Hier haben sie das Problem nicht und deshalb steht beispielsweise hier ein Lied in Es mit drei b und bei uns dasselbe Lied in D mit zwei Kreuzen. Das wäre für viele Posaunenchöre auf dem Lande ein Problem (klingt gestandenen Chorleitern irgendwie vertraut - oder?) Vor allem funktioniert dann der Trick mit dem dritten Ventil nicht mehr.

Im Gottesdienst überwiegen die homophonen Sätze, bei denen (fast) jede Stimme den Rhythmus der Melodie übernimmt. Jeder Akkord steht wie Ast neben dem nächsten, und wenn es irgend geht, beschränkt man sich auf drei Akkorde. Das klingt oft sehr schön.Viele Tanzanier können aus dem Stegreif mehrstimmig singen und machen das auch mit Begeisterung. Und die der griechisch-orthodoxen Kirche entlehnten liturgischen Melodien, sind – auf diese Weise zwei– bis vierstimmig gesungen - wunderbar.

Aber nach einer Weile klingt alles irgendwie gleich, und von den oft raffinierten Rhythmen in der hiesigen, eigenen Musik findet man da nichts. Eigenartigerweise sind die Melodien von afrikanischen Komponisten oft unbekannt und werden nur unsicher gesungen. So suchen die Pastoren meistens die alten englischen Kirchenschnulzen aus.

Gerechterweise muss ich sagen: nicht nur. 
Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, oder: Was Gott tut, das ist wohlgetan, oder Ein feste Burg, z.B. werden hier auch gern gesungen, und die Melodien verweigern sich Gott sei Dank dem satztechnischen Einheitsbrei. Großer Gott, wir loben dich, ist da leider nicht so widerstandsfähig.

Ein anderes fieses Erbe der englischen Kolonialzeit ist der Straßenverkehr. Man fährt links, und das heißt: Rechtsabbiegen – bei uns relativ problemlos – ist hier ein Abenteuer. Und ein Abenteuer ist es auch, als Beifahrer in eine Stadt wie beispielsweise Arusha zu fahren. Es gibt dabei einen gewissen Rhythmus: Verkrampfen! – entspannen, Verkrampfen!!! – entspannen, VERKRAMPFEN!!!!  - Entspannen. Die Verdauung ist noch Stunden danach in Aufruhr und die Nerven vibrieren wie eine hinter dem Steg gespielte Violin E-Saite.

Der Sonntag bringt ein Cello / Klavierkonzert, das die Tochter meines Uni-Chefs, Megan Stubbs spielt. Bach: Solo Cellosonaten, Brahms: Sonate für Cello und Klavier und Paganini: Variationen auf einer Saite (in diesem Fall die A-Saite). Gespielt wird in der Kirche des nicht einmal drei Jahre alten Klinikzentrums der Evangel. Luther. Kirche. Megan spielt mit viel musikalischem Gespür und einer enormen Technik, und ist mit Sicherheit eine Kandidatin für ein Studium dieses Instruments.

Ich  komme anlässlich des Nachmittags ins Gespräch mit der Frau eines Arztes am Klinikum. Wir sprechen darüber, woher die Tradition der Posaunenchöre in Tanzania kommt, und sie beklagt sich, dass die Deutschen dem Lande die unsäglichen „Weddings-Bands“ hinterlassen hätten. Dahinter verbirgt sich der Brauch, dass Bläser (auch solche aus den Posaunenchören) und (noch schlimmer) Musikstudenten sich ein Taschengeld damit verdienen, anlässlich einer Hochzeit auf einem offenen Pritschenwagen vor dem Brautauto herzufahren und mit voller Kraft und Lautstärke irgendetwas zu spielen. Es soll sich scheußlich anhören, aber sehr beliebt sein. Ich habe es selbst noch nicht gesehen und gehört, glaube aber jedes Wort. Allerdings lehne ich im Namen der gesamten deutschen Posaunenmusik jede Verantwortung für diese Entartung ab.

An diesem späten Nachmittag gestattet der Mount Meru ein Blick bis hinauf zu seiner Spitze, die eine beeindruckende Höhe von über 4000 Metern aufweist. Besteigen sollte man ihn nur mit einem Bergführer, der nicht nur die Pfade kennt, sondern auch bewaffnet ist – zum Schutz gegen wilde Tiere.




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