Freitag, 8. Juli 2011

11.Woche




Montag 27.06.2001
6:00 Uhr aufstehen. Ich habe den Eindruck, hier gibt es nur früh Aufstehen. Und wenn mal nicht, dann wacht man trotzdem auf. Um 7:00 ist Morgenandacht und danach beginnt mein Tag im Arusha Nationalpark.

Der Fahrer, Augusto, ein Freund des Dozentenehepaares Hale, ist schon bereit, und  wir starten in einem kleinen Suzuki Geländewagen. Die Zufahrtstraße ist nicht weit weg, aber sie hat bis zum Eingangstor eine stetige Steigung. Es wird neblig und nieselig.

Im Bürogebäude der Parkverwaltung sitzt eine Dame hinter Gittern. Klarerweise muss man hier die Leute hinter Gitter halten, wenn die Wildtiere frei herumlaufen. Sie serviert uns gleich eine Panne. Die Internetverbindung für das Lesegerät der Kreditkarte funktioniert nicht. Ein Hoch auf die Technik! „Haben sie Dollars?“ fragt die Dame hinter dem Gitter. Und ich habe den Eindruck, dass mich das Lesegerät boshaft angrinst. Natürlich habe ich keine Dollars, ich muss ja auf Anordnung der Parkverwaltung die Kreditkarte benutzen. Das habt ihr nun davon, ihr wolltet das ja so. Wir haben allerdings auch nichts davon, außer dass wir warten müssen.

Es klappt nach einer halben Stunde. Wir fahren weiter, und scheinen uns mitten in einer Wolke zu bewegen. Der Fahrer versichert mir, dass der Nebel sich bald heben wird, aber ich habe sowieso nicht vor, mir die gute Laune verderben zu lassen. Und man muss sagen: staubig ist es überhaupt nicht, was meiner Fotoausrüstung sehr zugute kommt.

Bald grüßen uns Giraffen, Antilopen und in etwas weiterer Entfernung eine Büffelherde, wobei ich mir bei den Büffeln nicht sicher bin. Die haben so eine münchnerische Art, dauergrantig zu sein. Der Himmel wird heller und der Nieselregen schwächer. Der Park bietet eine wirklich gute Show. Eine Giraffe in zwanzig Meter Entfernung, die so lange wartet, bis ich fotografiert habe. Eine Thompsongazelle, keine fünf Meter weit weg, Giraffenkinder mitten in ihrer würdevollen Bewegung und sogar im Galopp. Der Fahrer ist beeindruckt. Dann eine Pavianherde, die sich überhaupt nicht stören lässt. Fehlt nur noch, dass der alte Herr der Sippe mir die Zunge raussteckt.

Ein Dik-Dik steht in zehn Meter Entfernung, und springt nicht sofort in Deckung. Dik-Diks sehen aus, wie kleine Rehe und sind so klein, dass sie unter einem kleinen Tisch durchlaufen könnten. Sie sind äußerst scheu und viele Tanzanier haben noch nie eins zu Gesicht bekommen. Der Fahrer ist ganz begeistert (und ich auch). Jetzt fehlt in meiner Sammlung nur noch ein Klipschiefer (ein Verwandter der Elefanten aber nur so groß wie ein mittelkleiner Hund). Aber den gibt es hier genauso wenig wie die Elfanten selbst oder die größeren Raubkatzen. Das ist übrigens auch der Grund, warum man in diesem Park vier Stunden lang wandern darf, was sonst nirgendwo erlaubt ist. Wer sich nach vier Stunden nicht zurückmeldet wird gesucht und muss dafür kräftig bezahlen. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass jemand bei einer Auseinandersetzung mit einem Büffel nur zweiter Sieger bleibt.

Die Landschaft bietet eine schöne Ansicht nach der anderen. Steppe, Wald, und Mittelgebirge wechseln sich ab. Man könnte sich wie in Süddeutschland fühlen, wären da nicht die fremdartigen Bäume und Büsche. Elenantilopen und Warzenschweine machen eine Verbeugung (wenn ich das richtig deute), aber näher als auf  rund hundert Meter wollen sie dann doch nicht herankommen.

Nach etwa zwei Stunden (mir tut schon der Zeigefinger weh) kommen wir zuerst zum kleinen der beiden Momella Seen. Das Wasser ist leicht salzig, was man an den Schaumkronen erkennt, die sich am Ufer abzeichnen. Einige wenige Flamingos sind zu sehen. Das ändert sich aber am großen See. Er beherbergt insgesamt einige tausend von ihnen. Die erste Gruppe ist mehrere hundert Meter weit weg auf einer kleinen Insel, trotzdem hört man ihr Gebrabbel sehr deutlich. Eine kleine Schar gründelt dicht am Ufer, aber als sie merken, dass sie gefilmt werden, drehen sie ab und zeigen mir die Schwänze, oder wie immer sie das nennen.

Auf der kleinen Insel stehen nicht die einzigen Flamingos. An den Ufern entdecken wir sechs, sieben weitere Kolonien, mit vielen hundert Vögeln. Der Fahrer erzählt mir, das sie nur tagsüber am Momella See sind. Abends fliegen sie zum Lake Natron und morgens kommen alle wieder her. Das muss ein aufregendes Bild sein. Ich bedaure, dass wir zur falschen Zeit hier sind. Kaum habe ich zu Ende bedauert, als sich zuerst ein kleiner Teil von ihnen in die Luft erhebt, dann immer mehr und schließlich einige Hundert ein paar Runden über dem See drehen – wie zu einer Privatvorführung.

Das Wetter ist inzwischen immer heller geworden. Es ist weiterhin bedeckt, aber der Nebel ist ganz weg und der Nieselregen hat aufgehört. Es ist ideales Fotowetter. Sobald wir die beiden Seen hinter uns haben, tut sich weites Grasland mit einigen kleinen Akazien auf. Sie sind nicht viel höher als zwei Meter und die jungen Giraffen (etwa Halbstarken Alter) müssen sich bücken, um sie von oben anzuknabbern. Hundert Meter weiter weidet eine Gruppe von Elenantilopen (glaube ich). Als wir etwas näher heranfahren, beginnen sie herumzuspringen und zu rennen wie die Wilden (die sie ja auch sind). Sie rennen aber nicht etwa vor uns weg, sondern hin und her, im Trab und gestreckten Galopp. Ich erwarte eigentlich jeden Moment, dass sie kommen und Trinkgeld für die Vorführung verlangen. Auch eine Büffelherde ist wieder zu sehen. Wir kommen aber nie nahe an sie heran. Nach dem, was ich über die Gefährlichkeit dieser Tiere gehört habe, ist das auch ganz gut so.

Unser nächstes Ziel ist die Momella Lodge, in der ein Teil des Films „Hatari“ mit John Wayne und Hardy Krüger gedreht wurde – vor über fünfzig Jahren. Mein Fahrer, ein junger Mann von nicht einmal dreißig Jahren, hat noch nie etwas von diesem Film gehört und lässt sich interessiert davon erzählen (jedenfalls nehme ich an, dass er interessiert ist).

In der Momella Lodge wollen wir Mittag essen und setzen das Personal damit in Verlegenheit. Auf Mittagsgäste sind sie nicht vorbereitet. Fast alle Touristen nehmen ein Frühstück, fliegen wie die Flamingos irgendwo hin und kommen erst abends wieder. Also setzen wir uns als einzige Gäste in die „Hardy Krüger Lounge“. Standfotos von „Hatari“ zieren die Wände, und ein Kaminfeuer brennt. Nach einer halben Stunde bekommen wir auf Wunsch jeder ein halbes Hähnchen mit „Chipsi“ (Pommes frites) und eine Cola. Die Alternative wäre Fisch gewesen. Aber ich sehe nicht ein, dass ich mitten im Arusha National Park toten Fisch essen soll.

Das halbe Hähnchen schmeckt ausgezeichnet, man hat uns also keinen Gummigeier serviert, aber die Küche hat „Festpreise“ – jede Rechnung ein Fest für die Firma. Der (von mir eingeladene) Fahrer macht kugelrunde Augen. Ich habe allerdings mit der Rechnung gerechnet und zahle, ohne mit der Wimper zu zucken. Ein dreiwöchiger Urlaub in diesen Mauern, die die Ehre hatten, John Wayne und Hardy Krüger zu beherbergen, wäre für mein Portemonnaie aber zuviel.

Nach dem halben Hatari-Hähnchen beginnt die Rückfahrt. Diesmal auf einem besser ausgebauten, aber lange nicht so interessanten Weg. Wir sehen nur eine Paviansippe, die aufreizend langsam die Straße frei macht. Alle drehen uns dabei das Hinterteil zu, inklusive der nur zwanzig Zentimeter kleinen Strolche. Ich bin mir bei den Pavianen nie sicher, ob ich die Fenster aufmachen soll; es gibt auch welche, die aufs Auto springen und die Gummis der Scheibenwischer abreißen. Das wenigstens tun die Büffel nicht.


Dienstag
Nachmittags ist wieder Einkaufsfahrt. Wir fahren danach aber  noch nicht nach Hause, sondern besuchen Penina. Am Wochenende wurde sie von einem Motorrad angefahren und verletzt. Sie ist wieder aus dem Krankenhaus heraus und liegt nun bei ihrer Freundin im Bett. Die kann in ihren eigenen zwei Räumen besser für sie sorgen, als wenn Penina bei sich zu Haus liegen würde.

Auch die Freundin wohnt in einer Anlage mit Innenhof, der durch eine eiserne Tür nach außen abgeriegelt ist. Die Wäsche hängt von einer Seite zur anderen, einige Petroleumkocher stehen an den Wänden, und vor jeder Tür liegen mindestens sechs Paar Sandalen. Mir wird auch bald klar warum. Der Hof ist nass und relativ schmutzig. Wer in die Räume will, zieht die Schuhe aus und geht barfuß oder auf Strümpfen hinein. So kann man den Fußboden innen einigermaßen sauberhalten.

Wir sind zu dritt und werden hineingebeten. Selbstverständlich ziehen auch die Gäste die Schuhe aus. Der Raum ist vielleicht drei mal vier Meter groß und hat an der Schmalseite gegenüber der Eingangstür ein Doppelbett am Fenster, in dem jetzt Penina liegt. Außerdem gibt es zwei Sofas, einen niedrigen Tisch, einen größeren Schrank mit Geschirr und ein Regal mit einem Fernseher und einem Schrankfach mit Gewürzen, Tee und ähnlichem.

Außer uns dreien, dem Ehepaar mit einem Baby und Penina im Bett, sind noch zwei befreundete Frauen im Raum, und aus dem zweiten Zimmer, huscht eine älteres Mädchen und sorgt für unseren Tee, bzw für Soda (sprich: Fanta oder Sprite). Also befinden sich in dem Moment 10 Personen in dem Haus, das bestimmt nicht mehr als 20m² hat. Das zweite Zimmer bekomme ich nicht zu sehen, es sollen aber noch zwei Betten darin stehen. In diesen beiden Räumen leben regelmäßig vier bis fünf Personen, die auch die Sofas als Schlafgelegenheit nutzen. Küche und Badezimmer gibt es nicht.

Das Leben mit so vielen Leuten auf engem Raum wird aber von den Menschen nicht als Nachteil und Minderung ihrer Lebensqualität empfunden. Und diese Anlage ist auch eine von den besseren, denn es gibt Strom und das Dach ist dicht. Leider ist es so konstruiert, dass der Regen in den Innhof abläuft, der deshalb auch meistens nass und matschig ist. Die Menschen wohnen hier zur Miete. Die nicht so guten Wohnungen haben meistens keinen Strom und sind oft schlecht gebaut. Bei Regen leckt es in die Zimmer, und außer einer Schlafgelegenheit (es muss nicht unbedingt ein Bett sein) bieten sie nichts.

Nachdem das Baby reihum betüdelt wird (Randy Stubbs und ich werden ausgelassen), bringt uns das Hausmädchen heiße „casava“. Das ist eine Wurzel, die längs aufgeschnitten, in Wasser gekocht und dann in heißem Öl leicht frittiert wird. Sie schmeckt sehr gut - ein bisschen wie Kartoffel, aber etwas süßer.

Über die Hausmädchen erfahre ich auf der Rückfahrt einiges. Ihr Schicksal ist sehr unterschiedlich. Sie können in einer Familie sehr gut behandelt werden, oder auch als eine Art Haussklaven leben. Ihre Aufgabe ist Saubermachen, Kinder behüten und Kochen, samt allem, was so dazu gehört. Meistens bekommen sie nur wenig oder überhaupt nichts bezahlt.

Viele von ihnen haben gar keine andere Lebensmöglichkeit. Oft sind es die Mädchen, die den Schulabschluss nicht geschafft haben und keinen Job bekommen. Manchmal sind es Waisen von Verwandten oder Freunden, die in der Familie mit aufwachsen. Wenn sie Glück haben, bekommen sie die gleichen Chancen, wie die leiblichen Kinder, manchmal haben sie das Glück auch nicht. Niemand kontrolliert das, denn oft weiß keine offizielle Stelle von diesen Kindern.

Während die Jungen, die die Schule nicht schaffen, oder gar nicht erst in eine geschickt werden, sich später auf den Feldern verdingen, Transportdienste mit Handkarren anbieten oder als Wanderverkäufer Textilien oder Sandalen unter die Leute bringen, gibt es für die Mädchen nur die Möglichkeit, am Straßenrand Obst, Gemüse oder sonstwas zu verhökern oder eben Hausmädchen zu werden. Und das bleiben sie, bis jemand kommt und sie heiraten will.

Das Kisualheli kennt für die Frage nach dem Familienstand zwei Formen: Die Männer werden gefragt: „Hast du geheiratet?“ und die Frauen: „Bist du geheiratet worden?“
Hat das Mädchen das Glück, dass ein anständiger Mann sie haben will, ist es üblich, dass die Familie, bei der es lebt, um Erlaubnis gefragt und ein Brautpreis gezahlt wird. Das können ein oder zwei Ziegen oder in besseren Verhältnissen auch mal eine Kuh sein.

Die Heirat ist keine Garantie für ein besseres Leben. Nicht nur, dass der Ehemann sich als Faulpelz, Trunkenbold oder Schläger entpuppen kann, es kommt nicht selten vor, dass ein Ehepartner stirbt. Die Lebenserwartung ist in Tanzania deutlich geringer als in Europa oder in den USA. Ich höre die Geschichte von einer jungen Frau, die einen Witwer mit einer Tochter heiratete. Sie selbst hatte keine Familie mehr und war froh, den Mann heiraten zu können. Sie hatte gerade ein Kind mit ihm, als er starb und sie nun mit der Tochter aus erster Ehe und ihrem eigenen Kind übrig blieb. Das Geld reichte nicht mehr für die Schule, und die Tochter aus erster Ehe bekam keinen Abschluss. Auch sie wurde später Hausmädchen.

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Mittwoch
Unser Ersatzsopran im Bläserquartett hat sich überschätzt und beim Blasen zum Morgengebet an mehreren Stellen gepatzt. Die anderen ärgern sich sichtbar (für ihre Verhältnisse), weil er sich in dieses Vorspielen reingedrängt hat. Trotzdem gibt es keine hässlichen Worte oder bissigen Kommentare. Das wäre in so manchen Chören bei uns ganz anders.

Der Strom ist ab Mittag weg. Diese Abschaltungen häufen sich in den letzten Tagen. Das hat  verschiedene Ursachen. Die geringe Regenmenge der letzten Jahre hat die Leistung vieler Wasserkraftwerke verringert. Im Süden des Landes sind drei von fünf Gasturbinen wegen schlechter Wartung ausgefallen, und außerdem schaltet die Regierung der Bevölkerung den Strom ab, um Energie nach Kenia verkaufen zu können. Auf diese Weise will man das Riesendefizit des Staatshaushaltes verringern.

Die europäischen Staaten geben nämlich noch Geld für Projekte, haben aber die direkten Zuschüsse für Tanzania (bis zu 25% des gesamten Haushalts) inzwischen kräftig reduziert. Der Staat schränkt dafür seine Leistungen überall, auch im Erziehungswesen, ein, obwohl das abgestritten wird. Der Grundschulbesuch für die ersten sechs Jahre kostet die Eltern zwar keine Gebühren, aber sie müssen die Schulkleidung bezahlen, das Essen für die Kinder, die Schulbücher und den Transport zur Schule. Das ist deutlich mehr als noch vor ein paar Jahren. Die Folge ist, dass die Zahl der Kinder, die nie eine Schule sehen, in jedem Jahr steigt. Zusammen mit der zunehmenden Bevölkerungszahl, der Arbeitslosigkeit und dem Wust an Unfähigkeit und Korruption ergibt das eine Mischung, die die Zukunft des Landes nicht gut aussehen lässt.

Es ist früher Abend, und im Brassensemble wird schnell und kurz für das Konzert geübt, solange das Tageslicht noch reicht, denn der Strom ist immer noch weg, und der Generator darf aus Kostengründen erst nach 20:00 Uhr eingeschaltet werden. Dann ist es allerdings schon eine Stunde lang stockdunkel.

Als der Strom wieder da ist, probt eine Gruppe der Musikstudenten die Tänze für den nächsten Sonntag. Da es unter ihnen nur zwei Studentinnen gibt, werden auch junge Mädchen von außerhalb gebeten mitzumachen. Darunter ist eine schwarzbraune Teenagerschönheit mit Brigitte Bardot Schmollmund und einer für den afrikanischen Hüftschwung bestens ausgestatteten Figur. Den Hüftschwung bringt sie auch gekonnt zur Geltung. Das Mädchen muss ein paar Extragelenke haben, sonst könnte sie nicht derart viel zur gleichen Zeit in Bewegungen setzen.

Beim Rückweg von den Studienräumen ist der Himmel klar und die Nachtluft kalt. Ich bin froh, dass ich einen Pullover anhabe.

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Donnerstag
Die Internetverbindung ist wieder mal ein Glücksspiel und habe eine Pechsträhne.

So langsam  beginnt für mich schon deutlich spürbar der Ausklang meiner Zeit in Makumira. Das ganze Musik-Department bereitet sich auf das Abschlusskonzert und die Examina vor. Während die Proben für das Konzert natürlich interessant sind, hätte ich in den Vorbereitungsstunden nichts zu tun, außer dazusitzen und würdevoll zu gucken - für die Studenten nutzlos und für mich langweilig.

Am späten Vormittag ist wieder „African Ensemble“. Diesmal probt eine kleine Gruppe Tänze, die als Darbietungen zwischen den Kostümwechseln des größeren Ensembles dienen sollen. Die Gruppe macht das sehr witzig und gekonnt. Leiter und „Erfinder“ dieser kleinen Tänze ist einer der beiden Studenten, die im letzten Semester mit der Posaune angefangen haben und den Dozenten zur Verzweiflung bringen. Tanzen (und Tänze erfinden) kann er allerdings exzellent.

Für den späten Nachmittag bin ich mit eingeladen, zu einem „Ziegenfest“ zu kommen. Hezron Ahauron, von Geburt ein Massai, der mit auf dem Seminar in Babati war, hat alle eingeladen, die ihn bei seinem bisherigen Weg an der Uni und danach unterstützt haben. (Ich bin nur dabei, weil er mich auf dem Babati Seminar kennengelernt  hat.) Er hat ein sehr schönes, ganz untypisches Haus mit einem ebenso schönen Garten mitten in den „Dörfern“ von Arusha. Das sind jene Stadtteile, die abseits der Hauptstraßen ein ganz anderes Bild von der Stadt bieten, ein sozusagen viel „afrikanischeres“ Bild.

Die Gäste sind aus den USA, aus Finnland, aus Schweden, aus Tanzania und aus Deutschland (meine Wenigkeit). Es gibt eine Gemüsesuppe zu Beginn. Die Ziege wird uns nicht als Ganzes serviert, wie sonst oft üblich, sondern im Topf in kleinen Fleischportionen. Dazu gibt es Kartoffelsalat (finnisch made), Tomaten- und Gurkensalat und Melonen. In meiner Runde sitzen zwei junge Frauen aus Schweden, die etwas Deutsch und Englisch können, und die Unterhaltung klappt erstaunlich gut.

Mit der Dunkelheit kommt die Kälte. Diesmal war ich so schlau, eine Jacke mitzunehmen. Gut eine Stunde nach Sonnenuntergang (wir sind inzwischen fast drei Stunden dort), brechen alle Gäste wieder auf.

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Freitag
Musste ich mir hier doch noch eine Erkältung holen- zu blöd. Man darf aber auch nicht unvorsichtig sein und für die Zeit nach Sonnenuntergang eine warme Jacke vergessen.

Der Vormittag ist für mich frei, und ich mache einen Ausflug in die Nähe von Usa River. Es gibt dort ein Rehabilitations-Center, dass von einer deutschen Mission geleitet wird. An seinem Eingang stand immer (wenigstens vor drei Jahren noch) ein Container mit einem kleinen Laden, der Kunsthandwerk anbot. Da will ich hin. Inzwischen ist die Fahrt mit dem Dalla-Dalla Routine und die Zeit der überhöhten Fahrpreise ist Vergangenheit.

Am Haupttor des Unicampus wartet ein Mann mit einem Schafbock – offensichtlich auf eine Fahrt mit dem Dalla-Dalla.  Die Aussicht zusammen mit einem Schafbock zu fahren, ist ja nicht gerade verlockend. Aber der Besitzer des Schafes hat Mühe, mitgenommen zu werden, und ich erwische einen schaflosen Dalla-Dalla.

Der kleine Laden ist immer noch da, aber seine Auswahl an kunsthandwerklichen Stücken ist klein. Wahrscheinlich kommen nicht viele Kunden für solche Sachen vorbei. Dafür hat er jetzt Süßigkeiten, Kugelschreiber und Hefte. Während ich mich im Laden umsehe, kommen mehrere Kinder und kaufen Lollis oder Bonbons, immer nur einen pro Person, manchmal auch einen für zwei.

Ab Mittag beginnen die Vorbereitungen für das Konzert, das am Sonntag stattfinden soll. Die Studenten müssen die große Halle selbst herrichten. Das heißt: alle Tische an die Wand stellen, den Fußboden fegen und wischen, die Bühne versetzen und die Stühle konzertmäßig in Reihen bringen. Es dauert fast drei Stunden, bis die Halle fertig ist und die „technische Probe“ anfangen kann.

Auf dem Programm stehen Bläsermusik, ein geistliches Musical und als besondere Attraktion die afrikanischen Tänze (mit Trommeln). Alle Kostüme sind schon fertig und das Ganze macht einen tollen Eindruck. Ich selbst bin bei der Bläsermusik dabei und ansonsten für die Dokumentation zuständig.

Es wird neun Uhr abends bevor alle verschwitzt, müde und hungrig in ihre Quartiere gehen können.

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Sonnabend
- Seit die zänkischen blauen Affen weitergezogen sind, zeigen sich auch die Meerkatzen wieder. Ein paar von den jüngeren versuchen mehrmals, bei mir einzusteigen. Plötzlich zeigt sich so ein haariges Gesicht am Fenster und zwei kleine schwarze Hände tasten nach einer Lücke im Fliegendraht – zum Glück vergeblich. Die Vergitterungen, die jedes Haus hat, sind nämlich kein Problem für sie (weil viel zu groß), und wenn es ihnen wirklich einmal gelingt, ins Innere zu kommen, stellen sie nur Unsinn an (ganz abgesehen davon, dass sie auf der ganzen Inneneinrichtung herumtröpfeln).

- Am späten Vormittags beginnt das Dekorieren der Bühne mit etlichen Metern Stoff, damit sie nicht so technisch aussieht und einen gefälligeren Eindruck macht. Der Chef steigt auf eine vier Meter hohe Leiter, um mit Bindedraht zusätzliche Scheinwerfer anzubringen. Bei unseren Sicherheitsbestimmungen bekäme man mit diesen provisorischen Lösungen wahrscheinlich Ärger, aber hier kümmert das keinen. Mir graut schon vor dem Abbauen am Sonntagabend.

Einige Studenten müssen noch Lampen verkabeln, Stecker an Verlängerungsleitungen austauschen und andere müssen hinterher die Bühne wieder sauber fegen, damit keine Stecknadeln und Kabelreste liegen bleiben. Schließlich soll darauf ja barfuß getanzt werden.

Am Nachmittag startet dann die Generalprobe und fast alles klappt gut. Zweieinhalb Stunden dauert die ganze Vorführung, und selbst wenn man die Pausen zum Umziehen abrechnet, bleiben noch zwei Stunden Darbietung übrig. „Performance“ heißt das hier.

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Sonntag
Ich werde vom Bläserdozenten, Tom Hale, zum Gottesdienst in der Arusha Community Church mitgenommen. Ausgerüstet sind wir mit Posaune und Waldhorn, denn wir sind eingeladen beim Spielen der Bläsergruppe im Gottesdienst mitzumachen. Diesmal besteht die ganze Bläsergruppe aus Weißen. Angelika Wohlenberg mit Ehemann und noch drei Neffen, dann Tom Hale und ich. Mir waren nur zwei der Stücke, die gespielt werden sollen, von der Melodie her bekannt. Man muss den alten amerikanisch-englischen Kirchenschnulzen aber eines lassen: sie eingängig und gut durch­schaubar – in diesem Fall auch nicht allzu schnulzig und eines sogar ausgesprochen flott.

Dass Angelika Wohlenberg (sie heißt jetzt Kinsey) auch Bläserin ist, wusste ich bisher nicht, und noch weniger habe ich gewusst, dass sie etliche Instrumente in unterschiedlichem Zustand mitten im Busch bei verschiedenen Familien gefunden hat. Wie sie dahin gekommen sind (die Instrumente), ist völlig ungeklärt. Gebrauchen konnte sie niemand. Die eine Tuba an der Uni ist auf diese Weise sozusagen aus der Steppe zugewandert.

Außer uns sind noch mehrere Geigen, Querflöten und Klavier für die Musik zuständig. Es gibt heute Abendmahl, gereicht auf Holztabletts, die kleine Löcher haben. Darin stecken ein paar Dutzend kleiner Becher von zwei- bis dreifacher Fingerhutgröße. Die eine Hälfte ist mit Wein, die andere mit Traubensaft gefüllt, und man kann sich aussuchen, was man haben möchte.

Nach dem Gottesdienst werde ich von all den Leuten begrüßt, die ich in den letzten 10 Wochen schon einmal gesehen habe. Harald Wilms, Leiter des kirchlichen Finzanz­trans­ferbüros (das Wort ist meine eigene Erfindung, eigentlich heißt es „Lutherische Missions Cooperative“) berichtet von dem Besuch von Bischof Ulrich und des Afrikareferenten beim NMZ, Volker Schauer und noch einigen Personen in Arusha. Er lädt mich ein, auch dort zu sein und kurz „Hallo!“ zu sagen; er würde mich mitnehmen. Da ich am kommenden Montagmorgen nichts zu tun habe, sage ich natürlich Ja. Das heißt allerdings: wieder um sechs Uhr aufstehen, denn er muss früh in seinem Büro sein.

Kurz nach Mittag läuft der Countdown für das Konzert. Um zwei Uhr trudeln die ersten Leute ein, die Studenten sortieren hinter der Bühne noch einmal ihre Kostüme, einige Bläser tröten durch die Gegend, und ein letzter Lautsprechercheck wird durchgeführt. Kurz vor Beginn ist die ganze Halle voll. Mindestens sechshundert Leute haben einen Sitzplatz. Viele Zuschauer stehen, und sogar der Seitenbalkon ist brechend voll belegt.

Die Bläser sitzen auf einer Art Empore, denn unten wäre absolut kein Platz mehr für sie. Bläsermusik eröffnet das Konzert, und tatsächlich sind die schlimmsten Intonationsfehler verschwunden. Es folgt das Musical „Godspell“ mit einem anschließendem Bläser­quartett­stück (mein einziger sichtbarer Auftritt). Dann der Höhepunkt des Abends: die afrikanischen Tänze. Die Studenten auf der Bühne und auch die Trommler machen ihre Sache so gut, dass die Halle vor Begeisterung kocht. Ohne die hinderlichen Stühle würden die Leute die Bühne stürmen. So aber folgt ungehindert eine tolle Leistung der anderen. Beim letzten Tanz allerdings schwärmen die Studenten in die Halle aus und fordern so viele wie möglich zum Mittanzen auf.

Das Abbauen ist nicht ganz so schrecklich, wie ich befürchtet habe. Wir müssen nur die Bühne wieder umstellen, alles, was dem Department gehört, aus der Halle schaffen und den größten Dreck wegfegen. Anschließend gibt es ein freies Abendessen für alle Beteiligten in der Cafeteria. Ich wähle leichtsinnigerweise Ugali mit Fleisch- und Gemüsesauce. Ugali ist ein Maisbrei mit Zutaten.

Angeblich wird sogar die Ehefähigkeit einer Frau danach gemessen, ob sie Ugali kochen kann. Die Kugel Ugali darf – an die Wand geworfen – nicht wie ein Tennisball zurückspringen, sondern muss kleben bleiben und dann langsam runtersacken. Dabei darf sie nicht zerfließen (die Kugel natürlich). Ich probiere es natürlich nicht aus, weil ich nicht in Schwierigkeiten kommen will. Wer weiß, ob nicht eine Köchin noch unverheiratet ist und die Sache missversteht. Allerdings bin ich im Kampf mit dem Ugali unterlegen: ich schaffe ihn nicht.

Der Tag ist um acht Uhr zuende.


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