Donnerstag, 30. Juni 2011

10.Woche

10.Woche
20.06. bis 26.06.

Anbei zunächst einige Bildeindrücke.








Montag

- Ich muss zur ersten Unterrichtsstunde der Woche durch den Nieselregen, zu einem etwas weiter entfernten Übungsraum. Freundlicherweise wartet der Regen bis ich unter Dach bin, bevor er in einen massiven Wolkenbruch übergeht. Nach einer Stunde ist alles vorbei. incl. des Unterrichts und in wieder einem anderen Raum ist die wöchentliche Besprechung aller Musikstudenten – und Dozenten.

Da es nur noch drei Wochen bis zu den Semesterprüfungen sind, werden heute die Bewertungsmodelle für die Examensvorführungen erklärt. Das geschieht ganz anschaulich, indem einige Studenten Jury sein dürfen, Bewertungsbögen bekommen und die Dozenten etwas in unterschiedlicher Qualität vorspielen. Dann dürfen sie bewertet werden, und das Ergebnis wird besprochen.

Am Nachmittag sehe ich dabei zu, wie das Department Tonaufnahmen für CDs macht, die als Dokumentation und als Werbematerial für Sponsoren dienen. Dafür gibt es ein kleines Studio mit einem Aufnahme- und einem Technikraum, der mit Monitor-Lautsprechern, Mixer und Computer ausgestattet ist. Als Computerprogramm wird, dank großzügiger Spender, „Pro-Tools“ benutzt, für diesen Zweck so ziemlich das beste und teuerste auf dem Markt.

Abends ist wieder Brass-Ensemble, und der Dozent Tom Hale ist etwas verzweifelt, weil er bei einigen Posaunen jedes Mal wieder von vorn anfangen muss. Dabei sind die beiden missratenen Posaunisten auf anderen Gebieten sehr gut, man hätte nur nicht zulassen dürfen, dass sie eine Saupone als Instrument wählen. Aber das wusste vorher natürlich keiner.

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Dienstag
- Morgenandacht mit Blockflötenensemble, das immer besser wird: dann Berichte schreiben, Fotos bearbeiten, Mittags eine Unterrichtsstunde und am Nachmittag Downtown fahren, um die wöchentlichen Einkäufe zu machen. Der Dienstag ist ein ganz angenehmer Tag.

Ich besuche wieder einen Laden am Clock Tower, bekomme einige Freundschaftsangebote und auch ein: „Hey! Back again?“ von Leuten, die ich nicht im geringsten kenne. Das nächste mal lasse ich den Hut im Wagen. Er ist offensichtlich zu bekannt. „Hat keinen Zweck“, meint mein Chef, „die Leute hier haben scharfe Augen und ein gutes Gedächtnis, die wissen genau, wer hier nicht hingehört und erkennen dich auch ohne Hut.“ Also gut, dann werde ich eben nur noch im Laufschritt durch diese Straßen eilen. Das ist ein alter Militärtrick. Ein Soldat im Laufschritt muss weder grüßen, noch wird er angehalten, weil man nämlich annimmt, dass er einen wichtigen Befehl ausführt.

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Mittwoch
Ich fühle mich verwaist. Meine Studenten stecken irgendwo, aber nicht am verabredeten Ort. Sie sind jetzt allerdings auch schwer mit den Vorbereitungen für die Aufführung am 3.Juli beschäftigt. Dazu gehört es auch, Kostüme zu nähen, Uni T-schirts zu färben und ähnliches. Das sollen sie eigentlich schon seit drei Wochen machen, aber bei den meisten läuft alles erst auf den letzten Drücker. Dann fällt natürlich einiges hinten runter, unter anderem ich.

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Donnerstag
„Wo bist du Sonne blieben..?“ Der Tag beginnt wieder in melancholischem Grau, dabei kann ich mich über das Wetter eigentlich nicht beklagen, denn es ist geradezu heimatlich und erspart mir die Sonnenschutzcreme.

Da der Vormittag keine Unterrichtsstunden für mich hat (die kommen erst am Nachmittag und Abend zu Hauf), fahre ich nach Usa River und bitte den dortigen, befreundeten Chorleiter, Samuel Kaniki, mir beim Paketversand zu helfen. Wir gehen zu Fuß zum Postamt, das uns leider ablehnt. Pakete ins Ausland könnten sie nicht annehmen. Also müssen wir „to town“, sprich, nach Arusha. Samuel ist so nett, mit mir dahin zu fahren – im Dalla-Dalla.

Ich habe in kürzester Zeit die Straßenhändler am Hals wie andere Leute die Mücken. Das gibt sich nur, wenn ich mich mit Samuel unterhalte, denn dann ist offensichtlich klar, dass ich entweder sein Gast oder kein Tourist bin. Fortan bemühe ich mich, ununterbrochen Konversation zu machen, jedenfalls wenn Straßenhändler in der Nähe sind. Ein paar erwischen mich trotzdem.

Auf dem Postamt muss ich erst mal das schon mit viel Klebeband verschlossene Paket wieder öffnen, damit klar ist, dass ich nicht etwas anderes als alte Bücher außer Landes bringe. Immerhin, es wird wieder gut verklebt, und ich muss ein Inhaltsformular ausfüllen. Schließlich werde ich gefragt, ob auf dem Seeweg oder per Luftpost und sage, ohne lange nachzudenken: „Air-Mail“. Kurz danach bekomme ich die Rechnung und mein Portemonnaie einen Anfall: 101.600.- Shillinge, knapp 50.-€. Gut, die Bücher sind einiges mehr wert, aber trotzdem ... Ich tröste mich mit der vernünftigen Überlegung, dass Luftpost ja schneller und bestimmt sicherer ist, dass ich ja Platz für ein Kuhhorn brauche und auch nicht möchte, dass die Bücher im Koffer all die Andenken zerdetschen, wenn das Flughafenpersonal das Gepäck durch die Luft schleudert. Also ist es die Ausgabe wert. Vernunft ist doch eine nützliche  Sache.

Auf dem Rückweg erwischen wir einen „Coaster“. Das ist ein größerer Bus mit Sitzplätzen für ca 30 Leute und auch nicht teurer als ein Dalai Lama. Für die 25 km Fahrt von Arusha nach Makumira zahle ich 25 Cent. Leute mit längeren Beinen haben allerdings Probleme beim Sitzen, weil irgendetwas dabei kaputt geht: entweder die Knie oder die Sitze.

Am Nachmittag beginnt theoretisch der Probenmarathon: eigentlich vier Quartette, aber die letzten beiden sind angeschmiert. Nicht nur das Sonnenlicht verschwindet, auch der Strom fällt aus und kommt erst nach zweieinhalb Stunden wieder – da ist dann Abendbrotzeit. Ich hätte doch die Tannbaumkerzen samt -haltern mitbringen sollen.

Abends genehmige ich mir frische Orangen, letzen Dienstag direkt vom Baum in meine Tasche verkauft. Hier werden sie üblicherweise in Viertel geteilt und dann ausgelutscht - ein Genuss. Hinterher sollte man allerdings Zahnstocher benutzen, aber die gehören sowieso zu jeder Mahlzeit. Man muss sie immer im Hause haben, denn es ist unhöflich von einem Gastgeber, sie nicht auf den Tisch zu stellen. Und egal ob man mit Freunden isst, oder mit dem hochwürdigen Herrn Bischof,  hinterher sitzt man und stochert gemeinsam in den Zähnen – jeder in seinen eigenen natürlich.

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Freitag
Viertel vor sechs aufstehen und alles für das Quartettblasen in der Morgenandacht vorbereiten. Zum Glück gibt es Strom, leider nur bis sechs, dann ist es wieder zappenduster. Also weitermachen bei Kerzenlicht. Zu dumm, dass man es nicht in die Kirche mitnehmen kann. Die Idee mit den Tannbaumkerzen hätte ich vor drei Monaten nicht verwerfen sollen.

Wenigstens einmal möchte ich eines der kleinen Naturschutzgebiete besuchen. Dafür bietet sich der Arusha National Park an, der hier in der Nähe liegt, und den man an einem Tag befahren kann. Das darf aber nicht jeder machen, der einen geländegängigen Wagen hat. Diese Erlaubnis bekommen nur Fahrer, die eine entsprechende Ausbildung gemacht und eine Lizenz erworben haben. Das Dozentenehepaar Hale vermittelt mir so einen lizensierten Fahrer, der sogar ihren kleinen Geländewagen benutzen kann, sodass ich eine Privatfahrt in den Park bekomme. Der Eintritt wird in amerikanischen Dollars bezahlt, allerdings nicht mehr wie früher mit Bargeld. Ab diesem Jahr muss man sich bei den Banken eine Art Kurzzeit –Kreditkarte besorgen und sie mit 35.- US Dollar bezahlen. Dann sind noch Maut für den Wagen und für den Fahrer in Schillingen fällig, aber das sind nicht mehr als der Gegenwert von ca 6.- Euro. Nächsten Montag geht es los.

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Sonntag
Der Sonntag beginnt mit einem Gottesdienst in der Arusha Church Community. Ich werde von Harald Wilms mitgenommen. Er ist Leiter eines Büros, dass ich mit den praktischen finanziellen Transferleistungen europäischer und amerikanischer lutherischer Kirchen zur ELCT befasst. (Die ELCT ist das lutherische Gegenstück in Tanzania.)

Die ACC ist eine Personalgemeinde, die keinen eigenen Pastor hat, und sich durch die Spenden ihrer internationalen und interkonfessionellen (überwiegend evangelischen) Mitglieder finanziert.

Ich habe eine Einladung von Harald Wilms, langjähriger Mitarbeiter eines Büros, dass sich mit der Abwicklung von Zahlungen zwischen der tanzanischen Lutherischen Kirche und ausländischen Kirchen befasst. Er nimmt mich zu einem Gottesdienst der Arusha Church Community mit. Das ist eine Personalgemeinde, die keinen eigenen Pastor hat, und sich durch die Spenden ihrer internationalen und interkonfessionellen (überwiegend evangelischen) Mitglieder finanziert.

Der Gottesdienst besteht aus Gebeten, drei Lesungen, Predigt und Liedern. Das Gesangbuch ist eine reine Textausgabe mit alten und neuen Kirchenliedern aus den USA. Die Predigt hält ein Arzt des nebenan gelegenen, neuen Krankenhauses, der der mennonitischen Kirche angehört. Er macht das sehr gut und klar verständlich, sogar für meine Englischkenntnisse. Auch hier stellen sich Gäste vor. Es sind gut ein Dutzend, die Hälfte aus Deutschland, aber auch aus den USA, Finnland und aus Tanzania. Nach dem Gottesdienst gibt es Tee und sogar Kaffee (wegen der deutschen Mitglieder) und ich kann mich mit einigen der Gäste aus Deutschland unterhalten.

Auf dem Hin- und Rückweg erzählt mir Harald Wilms einiges aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung in diesem Land. Er ist der Meinung, dass in Europa (und Amerika) der Kulturgraben  zu wenig beachtet wird. Der besteht aus der Schriftkultur bei uns und der mündlichen Kultur hier. Diese Nicht-Beachtung sorge immer wieder für persönliche Enttäuschung bei den Geldgebern und führe auch zu Misserfolgen. Der persönliche Kontakt, das Reden miteinander, das Kennenlernen von Angesicht zu Angesicht, seien für die Menschen hier ungeheuer wichtig. Ein Brief sei ohne Gesicht und ohne Wirkung. Die Menschen hier schreiben einander keine Briefe. Sie telefonieren zwar wie die Wilden und besuchen sich oft, wenn sie können, aber in Briefen sehen sie keinen Sinn. Ein Foto von den Menschen bei uns sei zwar nur ein kleiner Ersatz aber immerhin etwas.

- Meine Posaunisten und Baritonspieler kommen nicht zur Probe, die sie eigentlich extra haben wollten. Bald darauf erfahre ich auch den Grund: zur normalen Probe der Tänze am Abend sind Gäste angesagt worden, und nun bereiten sie sich besonders darauf vor.

Die Gäste sind von der amerikanischen Botschaft, zwei Mann aus der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Es geht relativ familiär zu. Ich sitze eigentlich nur im Hintergrund, um zuzusehen und werde trotzdem vorgestellt. Als aktiver Gast-“dozent“ der Universität bekommt man eine Menge Leute zu Gesicht.

Die amerikanische Botschaft hat einen eigenen Etat für kulturelle Aktivitäten und schon manches Projekt unterstützt. Nun wollen alle einen guten Eindruck machen. Die Studenten und die jungen Mädchen, die mittanzen,  schwingen ihre Hüften jetzt noch ein bisschen temperamentvoller als sonst, und die Stimmung wird bald ausgelassen. Das wird nur etwas gedämpft, wenn die Studenten den Botschaftsangehörigen erklären sollen, was die Worte und Bewegungen bedeuten, die gesungen und gezeigt werden.

Dabei erfahre ich auch, dass der gesungene Text, den man hört und die Bewegungen nur die sichtbare Ebene der Tänze sind. Sie gehören eigentlich in den Lebenszusammenhang der Gemeinschaft des Dorfes oder des Stammes. Die Tänze erzählen oft Geschichten, die die man nicht mit Worten hört. Durch das jahrelange Einüben von Kindheit an wurden auf indirekte Weise Werte, Maßstäbe und Verhaltensweisen vermittelt. Manche Tänze zeigen stilisierte Arbeitsabläufe, z.B. ein Tanz von den Fischern am Viktoriasee. Und natürlich haben einige Tanzfiguren und Bewegungen auch eine deutlich erotische Färbung.

Der Abend wird spät und die Gäste werden gerade noch zu ihrer Unterkunft begleitet, bevor die Regierung (oder wer auch immer) den Strom abschaltet.


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